Der Deutsche Fußball-Bund und die DFL zertifizieren in regelmäßigem Abstand die Unterbringung von Nachwuchsspielern in den jeweiligen Leistungszentren der Vereine. So fand auch im Jugendinternat des VfB eine Auditierung statt – mit einem sehr erfreulichen Ergebnis. Oliver Otto, Teamleiter Bildung und Erziehung im Nachwuchsleistungszentrum, spricht im Interview über seine tägliche Arbeit und die Ergebnisse der Zertifizierung.
Im Sommer 2006 eröffnete das Internat im Carl-Benz-Center. Du bist seit knapp zehn Jahren mit dabei. Was hat sich denn Grundlegendes seitdem geändert?
Oliver Otto: „In dieser Zeit hat sich natürlich sehr viel verändert. So haben wir große Veränderungen in der Organisationsform, in den Mitarbeiterqualifikationen, den Anwesenheitszeiten, der schulischen Betreuung, der Persönlichkeitsentwicklung und der Elternarbeit vollzogen. Zu Beginn hatten wir eine/n „Jugendinternatsfamilie“ bzw. „Jugendinternatsvater“, der/die vollumfänglich im Jugendinternat wohnte/n. Inzwischen verfügen wir über mehrere Sozialpädagog*innen, die deutlich mehr Betreuungszeiten abdecken können. Wir haben die Zahl der Internatsplätze erhöht und das Jugendinternat noch enger mit den Partnerschulen des Fußballs vernetzt, mit der Kolping-Schule zusätzlich Unterstützung aus dem Privatschulbereich geholt und begleiten dadurch die Jungs noch enger zu ihrem bestmöglichen, individuellen Bildungsabschluss. Im letzten Jahr haben in diesem Zuge alle Jungs, die uns nach der Jugendzeit verlassen haben, ein Fachabitur oder eine allgemeine Hochschulreife erreicht. Auch die Persönlichkeitsentwicklung haben wir noch mehr in den Mittelpunkt unserer Arbeit gestellt. So haben wir bestimmte Bereiche (Gesundheit, Soziales, Politik, Kultur, Sport und Leben) definiert, die wir je Mannschaftszugehörigkeit mit verschiedenen Maßnahmen, Workshops oder Veranstaltungen leben. So gehören zu einem beim VfB ausgebildeten Spieler auch der Blick über den Tellerrand bzw. aus dem „Fußball-Tunnel“, den sie durch gemeinsame soziale Aktivitäten, kulturelle und politische Einblicke sowie die Förderung von Selbstständigkeit erhalten sollen.“
19 Spieler sind im Internat untergebracht, wie muss man sich denn einen Tagesablauf vorstellen?
Oliver Otto: „Die Jungs stehen um 6.45 Uhr auf und frühstücken. Danach verlassen sie gegen 7.15 Uhr das Jugendinternat und machen sich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg in die Schule, wo sie von 8 bis 10.30 Uhr in der Schule in heterogenen Klassen verbringen. Danach werden sie mit Bussen vom Fahrdienst abgeholt und zum Trainingsgelände gebracht. Hier wird von 11 bis 12 Uhr ein Potenzialtraining durchgeführt. Nach dem Duschen und Mittagessen findet zwischen 13.30 und 16.30 Uhr Unterricht am VfB Campus und am VfB Teilzeitinternat statt. Hierfür holen etwa 60 Spieler mit 15 bis 20 verschiedenen Lehrkräften der Kolping-Schule und des VfB Teilzeitinternats den versäumten Stoff in Kleingruppen nach, erledigen ihre Hausaufgaben und werden auf Klassenarbeiten vorbereitet. Um 17 Uhr beginnt die zweite Trainingseinheit, welche gegen 19 Uhr endet. Anschließend gehen die Jungs zu Fuß ins Jugendinternat im Carl-Benz-Center, wo gegen 20 Uhr ein Abendessen auf sie wartet. Die verbleibende Zeit bis zur Bettruhe können sie dann zusammen mit den Sozialpädagog*innen und ihren Internatskollegen verbringen.“
Inwieweit schränkt die Corona-Pandemie das Leben im Internat ein?
Oliver Otto: „Die Corona-Pandemie schränkt unser Leben in Schule, Sport und Internat wie in vielen anderen Bereichen ein. Um nach dem ersten Lockdown wieder öffnen zu können, mussten wir erst neue Hygienekonzepte schreiben und diese vom Landesjugendamt genehmigen lassen. Zuerst nur für die Abschlussschüler, nach den Pfingstferien für alle Internatsbewohner. Der Aufwand war riesig, doch nur so konnten wir bis zu den Sommerferien wieder einen geregelten Schulbesuch ermöglichen. Inzwischen haben wir diese Konzepte zum wiederholten Mal an die aktuelle Corona-Situation anpassen und erneuern müssen. Mal ist punktuell mehr, meistens aber weniger erlaubt. Dies verursacht bei allen Beteiligten, sowohl bei den Mitarbeiter*innen als auch den Internatsbewohnern nicht unbedingt Jubelstürme, um das mal bildlich auszudrücken. Ständiges Erinnern an die geforderten Hygienenormen und das tagtägliche Umsetzen verlangt von allen viel Zusatzarbeit und Verzicht. Verzicht auf enge soziale Kontakte und somit auch ein bisschen Lebensqualität.“
Der DFB verteilte die Bestnote bei der Zertifizierung. Das ist eine tolle Auszeichnung, aber zugleich auch Verpflichtung. Warum kann dieser hohe Standard gehalten werden?
Oliver Otto: „Die Einhaltung dieses hohen Standards setzt die ständige Bereitschaft der Weiterentwicklung von allen Beteiligten voraus. Nur durch die hohe Motivation jeder einzelnen Person im pädagogischen und sozialpädagogischen Bereich kann dieses hohe Niveau gehalten und verbessert werden. Daher bin ich auch sehr stolz auf unsere Arbeit.“
Welche Aspekte flossen in die Bewertung ein?
Oliver Otto: „Die Zertifizierungskommission bewertet die Unterbringung, die Konzeptionen, die Infrastruktur und das Personal, die Kommunikation an den Schnittstellen, die Prozessstruktur, den Kinderschutz, das Elternmanagement, den Datenschutz sowie die Persönlichkeitsentwicklung.“
In welchen Punkten/Bereichen gibt es noch Verbesserungsbedarf?
Oliver Otto: „Wir sehen uns als ein kleines Boot auf einem Fluss. Sobald wir an der Seite anlegen, uns mit der aktuellen Situation zufrieden zeigen und anfangen, uns auf die eigene Schulter zu klopfen, werden wir von den anderen Booten überholt. In diesem Strom sehen wir die Arbeit mit den Eltern als zusätzlichen Antrieb. Mit dem Einstellen einer Elternbeauftragten im März 2020 haben wir hier einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Aufgrund der Corona-Pandemie sind die angedachten Veränderungen aber noch zu wenig umsetzbar. Hier erhoffen wir uns nach Eintreten einer „Normalität“ einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil.“
In welchen Punkten unterscheidet sich denn unser Internat von denen anderer Bundesligisten?
Oliver Otto: „Unser größter Vorteil ist das vorhandene Know-how, das sich über die Jahre gebildet hat. Sowohl konzeptionell als auch in der täglichen Umsetzung sind alle Teilbereiche sehr akribisch aufeinander abgestimmt und auf einem gleichmäßig hohen Niveau. Ich möchte nicht sagen, dass die anderen Bundesligisten dies nicht sind, aber wir wissen ganz genau von was wir reden. Vielleicht noch etwas genauer als der eine oder andere direkte Konkurrent.“