Ulrich Ruf lebt seit Jahrzehnten für den Fußball. Da liegt es nahe, den ehemaligen VfB Finanzvorstand auf dem Spielfeld zu verorten. Als Heranwachsender stand er selbst im Tor, von den Medien wurde er unter anderem als Verteidiger eines soliden Haushalts bezeichnet, und das Attribut Macher wurde ihm ebenfalls attestiert, was einem Sechser gleich kommt.
Ulrich Ruf scheint also vielseitig einsetzbar, und bei genauerer Betrachtung bestätigt sich dieser Eindruck:
- Grobe Patzer eines Keepers führen unweigerlich zu einem Gegentor. Ähnlich verhält es sich mit Fehlern eines Finanzverantwortlichen, die automatisch Rückschläge des Unternehmens zur Folge haben.
- Starke Verteidiger bestechen durch ein gutes Timing bei der Grätsche, verhindern damit gefährliche Situationen für die eigene Mannschaft. Ein Finanzvorstand muss ebenfalls dazwischen grätschen, Nein sagen können, auch wenn es wehtut. Schließlich hat er am besten im Blick, was sich ein Unternehmen leisten kann und was nicht.
- Ein guter Sechser zeichnet sich durch Übersicht und Ruhe aus. Er lenkt das Spiel, gibt ihm die notwendigen Impulse, trifft die schwierigen Entscheidungen. So wie ein Geschäftsführer, und noch mehr ein Vorstand in Bezug auf Projekte. Bei einem Verein betrifft dies nicht nur infrastrukturelle Konzepte, sondern auch Spieler-An- und Verkäufe.
War schon früher ein Nachdenker: Ulrich Ruf
Rückblickend betrachtet hat der Familienvater seine besten Spiele wohl auf der Position des Mitgestalters im zentralen Mittelfeld gemacht. Jedenfalls passt diese Funktion am besten zu ihm. Weder ist er ein Dauerbremser, noch ein Ständig-Dazwischenhauer, vielmehr hat er stets abgewogen, dabei das Risiko nicht gescheut, seinen VfB aber auch nicht durch Unsummen von Investitionen in zu gefährliche Regionen preschen lassen. Er ist dabei nicht der laute Spielmacher gewesen, vielmehr der stille Entscheider, der im Hintergrund die wichtigen Fäden zieht.
Die Liste der erfolgreichen Spielzüge, an denen er maßgeblich beteiligt war, ist lang. Den Bau der Geschäftsstelle in der Mercedesstraße hat er abgewickelt, für die Leichtathletik-Europameisterschaft 1986 wartete Stuttgart in der Arena mit der ersten Video-Vollmatrix-Anzeigetafel Deutschlands auf, für die WM in dieser Sportart sieben Jahre später wurden fast alle Steh- in Sitzplätze umgewandelt, was Ulrich Ruf genauso als Meilenstein bezeichnet wie den Festakt zum 100-jährigen VfB Bestehen im selben Jahr. Ein weiterer Höhepunkt war der erfolgreiche zweijährige Verhandlungsmarathon mit der Stadtverwaltung um die Vermarktungsrechte der VfB Heimspiele, aus dem letztlich ein Vertrag resultierte, der diese Rechte dem Verein für Bewegungsspiele auf Zeit und Ewigkeit zusicherte. Ein Durchbruch für den Club aus Cannstatt. Die Stadionumbauten, die Meisterung der Kirch-Krise, das Sommermärchen, die Gründungen der Tochtergesellschaften, die Einführung des ersten elektronischen Kartenvorverkaufssystems der Bundesliga oder die Konzeption des früheren VfB Sportshops zählen ebenso zu den erfolgreichen Spielzügen mit Ulrich Ruf. Der Triumph im DFB-Pokal 1997 und der Sieg in der Champions League gegen Manchester United 2003 („Die wussten nicht einmal, wie man ‚Stuttgart‘ schreibt“) reihen sich in diese Highlight-Liste ein.
Das sagen langjährige Weggefährten
Ulrich Ruf hat in seinem bewegten Fußballleben nicht nur viel erlebt, sondern auch viele Personen getroffen. Wir haben einige Stimmen Weggefährten gesammelt.
Verabschiedung des Zahlenmeisters
Ulrich Ruf ist an diesem Dienstag nach mehr als 35 Jahren in Diensten des VfB verabschiedet worden – inklusive Staufermedaille und Siegelring des Ehrenrats.
Deutscher Fußballmeister ist Ulrich Ruf zudem drei Mal geworden, Meister der Zahlen war er hingegen ständig. Auch schon vor seiner Zeit beim VfB. Das fing beim Rechen-Wettbewerb in der Schule an und setzte sich in der Lehre bei der damaligen Württembergischen Bank Anfang der 1970er Jahre fort. Nach lediglich 23 Monaten Lehrzeit geriet er im Juni 1973 zu einem der jüngsten Bankkaufmänner der Bundesrepublik. Bei seiner Tätigkeit in der Werbeabteilung der Bank entstand der Kontakt zum VfB, das Angebot zu wechseln kam dennoch überraschend für den damals 24-Jährigen. Er überzeugte beim Vorstellungsgespräch, wurde Assistent der Geschäftsführung, später Geschäftsführer, dann Finanzdirektor und schließlich Vorstand Finanzen, Verwaltung. Im Süddeutschen Fußball-Verband, beim WFV und auch beim Deutschen Fußball-Bund saß er ebenfalls in Gremien und wird demnächst den Marketingausschuss des WFV übernehmen.
Ulrich Ruf wurde drei Mal Deutscher Meister.
Entgegengenommen hat er derweil die VfB Verdienstmedaillen in Gold (2000) und in Gold mit Rubin (2010), außerdem ist der zweifache Vater seit 2005 Ehrenmitglied beim Club aus Cannstatt. Am 16. April 2015 endete offiziell die Ära von Ulrich Ruf beim VfB, und viele seiner Eigenschaften werden sicherlich vermisst werden. „Seine Menschlichkeit kam besonders bei seinen Geburtstagsgrüßen zum Vorschein, die immer noch einen Tick besser sowie persönlicher gestaltet werden mussten“, sagt beispielsweise Ellen Schemberger vom Mitgliederservice, die seit 25 Jahren beim VfB arbeitet, und ergänzt: „Ulrich Ruf ist zudem der einzige Mensch, den ich kenne, der auf dem Kopf lesen und dabei zum Beispiel ein fehlendes Komma sehen kann.“ Markus Schmidt ist seit 21 Jahren beim Verein für Bewegungsspiele angestellt, fast immer war Ulrich Ruf dabei sein Chef. „Er hatte einen freundschaftlichen Führungsstil und ist der Meister des Kopfrechnens. Wer keinen Computer besitzt, behält sich eben andere Fähigkeiten“, konstatiert der heutige Direktor Rechnungswesen/Controlling und fügt an: „Ich habe seine Akribie und Genauigkeit bewundert. Manchmal mussten wir ihn aber vor sich selbst schützen, damit die Arbeit nicht zu viel wurde.“ Ulrich Ruf habe den VfB geprägt wie kaum ein anderer, bilanziert derweil sein designierter Nachfolger Stefan Heim: „Er kann in seinen 35 Jahren auf eine tolle Erfolgsbilanz zurückblicken, dennoch ist er immer ein angenehmer Mensch geblieben. Es war dabei stets bewundernswert, wie er die Interessen des Vereins gewahrt hat.“ Die Vorstandsassistentin Loni Braun kennt Ulrich Ruf am längsten, seit 33 Jahren schafft sie mit dem Familienvater zusammen – und litt manchmal unter der akkuraten Arbeitsweise ihres Vorgesetzten. „Zur Verzweiflung haben mich so manches Mal seine Korrekturen in Briefen und sonstigen schriftlichen Abhandlungen gebracht. Fünfmalige Änderungen waren leider keine Seltenheit. Er hat dann zwar immer gesagt: ‚Ihr Entwurf hat mir sehr gut gefallen, aber so wie ich es jetzt geändert habe, würde es mir besser gefallen.‘ Auch wenn nur die Worte gedreht wurden“, sagt sie und fährt mit einem Schmunzeln fort: „Hauptsache, der Chef hat was verbessert, weil der Chef hat immer recht!“ Aber, und das betont sie: „Er war ein guter Chef.“
Dies gilt fachlich und menschlich. Das konnten auch die anderen VfB Angestellten täglich erleben, die nicht direkt mit Ulrich Ruf zusammenarbeiteten. Er begrüßte schließlich stets mit Handschlag und sagte dabei fast immer auch den Namen. Dem VfB wird der 59-Jährige aber auch nach seinem Abschied natürlich weiterhin erhalten bleiben. In Zukunft jedoch vor allem von der Tribüne aus, als Beobachter, nicht mehr als Gestalter. Ohne Druck kann er sich dann die Spiele „seines“ VfB anschauen – und dabei zu Recht auch immer mal wieder eine Portion Stolz empfinden.