Die Wut entlud sich in Böllern, außerdem flogen Flaschen und Eier, aber Tayfun Korkut lief nicht weg. Der Trainer von Hannover 96 stieg am 6. April dieses Jahres nach der Rückkehr aus Braunschweig auf einen Zaun und sprach durch ein Megafon zu den aufgebrachten Anhängern. Was war passiert? Wenige Stunden zuvor hatte seine Mannschaft im Niedersachsenderby bei der Eintracht mit 0:3 verloren und war nach der vierten Niederlage in Serie endgültig in den Abstiegskampf gerutscht – aber der Cheftrainer bewahrte Ruhe, auf dem Zaun und auch in den Folgewochen, was bei der ersten Trainerstation in der Bundesliga nicht selbstverständlich ist.
Er verordnete seinem Team erst einmal ein Kurztrainingslager vor dem nächsten Spiel, um "zusammenzurücken und Gespräche zu führen", wie auf der Homepage der Niedersachsen nachzulesen ist. Denn genau das kann Tayfun Korkut, der 2011 als U19-Coach für den VfB tätig war. Christian Pander zum Beispiel habe "noch keinen Trainer mit so viel Gespür erlebt", wie das Fußballmagazin Kicker schreibt.
Der ehemalige Profi, der 1974 in Stuttgart geboren wurde und sieben Jahre lang das Trikot der Kickers überstreifte, ist ein Meister darin, das Selbstvertrauen seiner Spieler zu stärken und eine funktionierende Gruppe aufzubauen. In seine Pressekonferenzen nimmt er immer einen Zettel mit, auf dem die Namen der Langzeitverletzten stehen, damit auch ja keiner vergessen und das Gruppengefühl geschwächt wird. Das Kurztrainingslager gegen Ende der abgelaufenen Saison war zum einen offensichtlich der richtige Kniff, zum anderen stimmten dort wohl auch die Gespräche, denn Hannover trat fortan als funktionierendes Gefüge auf und sicherte mit dem 0:0 im Rückspiel gegen den VfB letztlich den Klassenverbleib.
Teamgeist als wichtiger Baustein im System
Neuzugänge werden direkt zu Stammkräften
"Mir war klar, dass nicht jeder sofort etwas mit dem Namen anfangen kann. Dass unsereLösung überraschen wird, hatte ich erwartet. Es gibt für uns kein Risiko, weil Herr Korkut uns eine gute, klare Argumentation geliefert hat", hatte der 96-Präsident Martin Kind einen Tag nach der Verpflichtung des Trainers an Silvester 2013 den Kollegen von bundesliga.de gesagt – und ein halbes Jahr später Recht behalten.
Die erste Krise war gemeistert – und die Mannschaft von Tayfun Korkut sollte nach der bitteren Derbypleite acht Bundesligaspiele in Serie nicht mehr verlieren (darunter sechs Siege). Bis zum vergangenen Samstag. Da trat die Überraschungsmannschaft aus Paderborn auf den Plan, bezwang Hannover mit 2:0 und kletterte an die Tabellenspitze der Bundesliga. Bei einem Sieg der Niedersachsen wären diese übrigens dort gestanden, mit zwei Punkten Vorsprung auf den Zweiten. Diesen Ausrutscher machten die Hannoveraner mit dem 1:0 gegen Köln am Mittwoch umgehend wett und kletterten auf Platz drei.
Die tabellarische Situation sagt zu einem solch frühen Zeitpunkt der Saison freilich noch nicht viel aus, aber sie ist schon mal ein Fingerzeig in Richtung der Konkurrenz. Hannover 96 hat sich im Vergleich zur Vorsaison noch einmal verbessert, die Selbstvertrauens-Impfungen des Tayfun Korkut schlagen immer mehr bei seinen Spielern an, die Niedersachsen sind stabiler geworden. In der Sommerpause veränderte der Kader indes sein Gesicht, viele – auch namhafte – Profis wie Szabolcs Huszti, Didier Ya Konan oder Mame Diouf gingen, neue Spieler wie Joselu, Miiko Albornoz oder Hiroshi Kiyotake kamen, reihten sich in das Gefüge ein und wurden gleich zu Stammkräften.
Zusammen mit ihren Kollegen treten die Hannoveraner stets sehr solide auf. Die Mannschaft von Tayfun Korkut steht gut, versucht von hinten herauszuspielen, operiert aber bei Druck auch schnell mit langen Bällen auf die Stürmer Joselu und Artur Sobiech. Diese beiden werden zudem mit vielen Flanken gesucht, die oft von den offensiv agierenden Außenverteidigern kommen. Häufig mit der Erfolg, sodass derzeit eher Konfettis fliegen und Freude statt Wut regiert.