Es muss ihm gut gehen. Schließlich ist Martin Harnik trotz seiner anstrengenden Reha-Arbeit wie immer ein Meister des Veräppelns und Frotzelns. So auch bei unserem Besuch in der Sport Reha von Mike Steverding in Herxheim in der Pfalz, wo der VfB Profi nach der Arbeit in der VfB Reha-Welt nun sechs Wochen lang intensiv an seiner Rückkehr ackert. Sechs bis acht Stunden pro Tag, nicht nur an der Schulter, auch an seiner Problemzone Hüfte sowie am restlichen Körper. Auf dem Platz ist der 27-Jährige ebenfalls bereits gewesen, hat fußballspezifische Kontaktübungen absolviert.
Trotz seiner guten Laune wird auch beim Besuch in der Pfalz klar: für Martin Harnik steht harte Arbeit auf dem Programm, sehr harte Arbeit. Er geht an seine Grenzen. Das belegen die Stöhner, die der VfB Offensivmann von sich gibt, während Mike Steverding mittels Dehnung an der Beweglichkeit der Schulter arbeitet – in dieser Situation, um ein Fotomotiv für die VfB Homepage zu liefern, aber vor allem um das Hauptziel zu erreichen: die vollständige Genesung. Martin Harnik schafft dabei fast schon wieder die Maximalbewegung. "Muss es für das Foto so hart sein", fragt der 27-Jährige stöhnend. "Ja, muss es", antwortet sein Physiotherapeut lächelnd, mit dem der österreichische Nationalspieler seit Jahren im Rahmen des ÖFB-Teams zusammenarbeitet, für das der 50-Jährige seit 2009 auch als Athletik-Coach tätig ist.
"Seine Entwicklung ist perfekt, die Geschwindigkeit der Beweglichkeitsverbesserung ist vorbildlich. Ich bin sehr zufrieden", sagt Mike Steverding und ergänzt: "Ich kenne ihn schon ziemlich lang. Umso mehr bin ich begeistert und auch überrascht. Er ist voll dabei und gibt wirklich Vollgas – auch in den Bereichen, in denen es unangenehm und sehr mühsam ist, sich zu motivieren. Martin zieht sich eigentlich gerne aus den unangenehmen Übungen zurück, aber jetzt hat er selbst den Wunsch geäußert, daran zu arbeiten, weil es für ihn eine Chance darstellt." Nicht nur, um an der Schulter zu arbeiten, sondern auch um athletisch besser zurückzukehren. "Er wird individuell komplett trainiert, und ich glaube, er kommt von der Gesamtphysis her in einem Zustand zurück, den er selbst noch nicht gehabt hat."
Ackern für die Rückkehr: Martin Harnik
Das Hauptaugenmerk liegt dennoch auf der linken Schulter, die sich Martin Harnik am 32. Spieltag der vergangenen Saison gegen Hannover 96 ausgekugelt hat, an der er nach dem gesicherten Klassenverbleib operiert wurde und die bald wieder genauso beweglich und belastbar wie vor der Verletzung sein soll. Im Interview spricht Martin Harnik über seine Reha, die anstehende Saison sowie die Fußballweltmeisterschaft.
Hallo Martin, die wichtigste Frage natürlich gleich zu Beginn: wie geht es Dir?
Martin Harnik: "Gut. Ich arbeite hier intensiv an meiner Rückkehr, sehe die Fortschritte und fühle mich trotz der hohen Belastung wohl."
Stellt solch eine Reha in der Vorbereitung vielleicht sogar eine willkommene Abwechslung dar?
Martin Harnik: "Sie ist vor allem individueller. Natürlich wäre ich jetzt gerne im Mannschaftstraining und würde mit den Jungs Gas geben – auch wenn ich höre, wie hart das Training ist. Aber ich bin die ganze Reha hier positiv angegangen, weil ich die Möglichkeit habe, einige Wochen komplett an meinem Körper zu arbeiten – und zwar nicht nur im Mannschafts-, sondern im Einzelmuster. Dazu kommt man sonst eigentlich nie, jedenfalls nicht in dieser Intensität."
Du kennst Mike Steverding schon seit der U21, seit sechs, sieben Jahren arbeitet ihr immer mal wieder intensiv zusammen. Das ist sicher wichtig.
Martin Harnik: "Ja, absolut. Das Vertrauen ist zu 100 Prozent da, und er kennt meinen Körper sehr gut. Es hat aber mehrere Gründe, warum ich hier beim. Einerseits weiß ich, wie gut Mike ist, und dass er sich auch mit anderen Sportlern befasst, darunter viele Handballer, was gerade bei einer Schulterverletzung für ihn spricht. Außerdem ist es meine größte Schwäche, dass ich zwischendurch fahrig werde oder mich ablenken lasse, und das ist hier nicht der Fall. Die Woche über bin ich hier, konzentriere mich voll auf meine Reha. In Stuttgart hätte ich noch meine Frau, meine Freunde, meine Hunde."
Und andererseits…
Martin Harnik: "…ist der Frust ein Thema. Im Trainingslager würde ich zum Beispiel das Aufwärmen mitmachen, danach aber wieder von den Mannschaftskollegen getrennt werden. Später darf man vereinzelt mal wieder eine Übung mitmachen. Du bist also zwar in der Mannschaft drin, aber du gehörst nicht richtig dazu, weil du nicht bei 100 Prozent bist. Das frustriert auch, weil du ja mitmachen willst, aber nicht kannst. Da bemitleidet man sich schnell selbst, und darunter könnte meine Reha leiden. Das ist hier nicht der Fall. Hier konzentriere ich mich nur auf mich und sehe meine Fortschritte. Es ist perfekt für mich, für jemand anderen ist eventuell ein anderer Weg besser."
Wie läuft die Rücksprache mit den Mannschaftsärzten?
Martin Harnik: "Ich erstatte natürlich immer Bericht. In der vergangenen Woche war ich ein-, zweimal beim VfB, und wir haben gesprochen. Sie vertrauen mir bezüglich der Reha, wissen, dass ich in guten Händen bin. Wir haben außerdem alle das gleiche Ziel, und es gibt keine verschiedenen Philosophien. Die Schulter muss wieder bei 100 Prozent Beweglichkeit sein, und die Muskulatur muss aufgebaut werden. Weil wir nebenbei außerdem die Hüfte bearbeiten können, ist die Zeit perfekt genutzt. Ich könnte auch im Trainingslager einige Übungen mitmachen, aber ich wäre einfach nicht so auf die Schulter, die Hüfte und letztlich meinen Körper spezialisiert wie hier."
Welche Trainingsinhalte stehen konkret an?
Martin Harnik: "Ich mache alles mit. Spinningkurse, auf dem Stepper, Crosstrainer, um auch im Ausdauerbereich zu arbeiten. Kraft und Stabilisation, um den Körper fit zu bekommen. Ich glaube, dass ich in diesem Punkt auch am meisten Sprünge mache, weil ich da große Schwächen hatte und habe. Aber ich habe auch gemerkt, dass kein Gerät der Welt den Platz ersetzen kann. Doch alles Drumherum, was ich brauche, um mich auf dem Platz quälen zu können, wird hier erarbeitet."
Du hast auch hier bereits auf dem Platz gearbeitet, sogar mit Körperkontakt. Merkst Du eine psychische Hemmung oder gar Angst in Bezug auf Deine Schulter?
Martin Harnik: "Ich habe viel mit dem Ball gearbeitet, auch im koordinativen Bereich, und dadurch dass es viel geregnet hat, bin ich beim Schuss immer mal wieder weggerutscht und habe mich instinktiv auf dem linken Arm abgestützt. Er hat super gehalten. Das war natürlich nicht geplant, aber ein guter Belastungstest. Insofern bin ich zwar noch etwas vorsichtig, aber nicht gehemmt."
Ihr habt vorhin zum Abschluss des Vormittagstrainings an diesem Mittwoch die Schulter gedehnt. Dabei war Dir die Belastung anzumerken. Wie muss man sich das vorstellen, sind das große Schmerzen?
Martin Harnik: "Es geht schon ans Limit. Das muss man sich so vorstellen, wie wenn man die Muskulatur richtig fies dehnt und dann noch einen drauflegt. Außerdem wird von extern gedehnt. Es ist insgesamt unangenehm, aber nicht so, dass ich auf einen Stock beißen muss. Streicheln ist es aber auch nicht."
Merkst Du die Schulterverletzung im Alltag?
Martin Harnik: "Nein, das ist schon länger kein Problem mehr. Aber man passt sich zwischenzeitlich schon an, die Haare habe ich zu Beginn beispielsweise nur mit rechts gewaschen. Aber jetzt geht alles wieder, ich setze bereits wieder ganz unbewusst auch den linken Arm voll ein."
Bist Du eigentlich generell anfällig, was das Auskugeln von Schultern anbelangt?
Martin Harnik: "Im Nachhinein weiß ich zumindest, dass es nicht passiert wäre, wenn ich mehr Muskulatur gehabt hätte. Man muss schon sagen, dass ich im Oberkörperbereich nie stark war. Ich bin diesbezüglich sicher auch nicht gut veranlagt, sondern eher ein anderer Spielertyp, aber da hätte ich schon mehr tun können. Das ist mir jetzt auch bewusst geworden. Als ich erfahren habe, dass die Schulter operiert werden muss, habe ich das sofort als Chance gesehen. Deshalb bin ich auch hier. Ich bin diese Reha sehr professionell und konzentriert angegangen, weil ich einen Schritt nach vorne machen will."
Das klingt nach einem klaren Plan, der die harte Arbeit sicherlich erleichtert. Du wirkst aber auch trotz der Anstrengung zufrieden?
Martin Harnik: "Es macht mir auch Spaß. Ich arbeite mit einem supergeilen Team, die Therapeuten sind total nett und lustig, so wie die beim VfB. Ich kriege die Zeit hier gut rum, auch weil wir viel gemeinsam lachen. Ich freue mich jeden Tag hierherzukommen. Ich habe mich in der Nähe in einem Boarding House, also einem möblierten Apartment eingemietet. Die sind für Zeitarbeiter, und da kann man richtig gut drin wohnen. Das ist super."
Und Dir fällt hier die Decke auch nicht auf den Kopf?
Martin Harnik: "Keineswegs."
Am Wochenende geht’s dann aber heim?
Martin Harnik: "Ich habe immer einen Tag frei, in der Regel sonntags, und da bin ich dann zu Hause."
Zu Hause in Stuttgart trainiert die Mannschaft in der kommenden Woche wieder – angeleitet von Armin Veh. Stellt die Tatsache, dass ihr einen neuen Trainer habt und Du derzeit individuell in Herxheim arbeitest, kein Problem für Dich dar?
Martin Harnik: "Optimal ist es natürlich nicht, aber das ist eine Verletzung ja nie. Der Trainer kennt mich als Spieler, und ich bin jetzt einfach vier Wochen weg und lerne die neuen Trainer eben ein paar Wochen später kennen, dann aber zu 100 Prozent, weil ich das komplette Training mitmachen kann. Der Trainer hat zudem natürlich sein Einverständnis gegeben, und generell könnte der Zeitpunkt nicht besser sein. Ich habe nur ein Spiel in der vergangenen Rückrunde verpasst und hoffe, dass ich für die anstehende Vorrunde fit bin. Insofern ist die Zeit optimal genutzt…"
…und Flo Klein sowie Rapha Holzhauser sorgen derweil ja auch für den österreichischen Humor auf dem Platz, wie man in Schruns sehen kann…
Martin Harnik: "…genau." (lacht)
Du sagst, Du konntest die Sommerpause optimal zu Rehazwecken nutzen. Inwiefern hast Du denn auch über die vergangene Saison nachdenken können? Schließlich hast Du ja zum Schluss der Runde Deinen Unmut geäußert.
Martin Harnik: "Ich habe schon mal auf den Tisch gehauen und Dinge angesprochen, die mir wichtig waren. Ich denke, dass sich insgesamt einige Dinge getan haben und auch noch weiter tun werden. So ein Umbruch, ein Umdenken geschieht natürlich nicht von heute auf morgen. Aber ich glaube, dass bereits einige Entscheidungen getroffen wurden, die in die richtige Richtung gehen. Ich bin guter Dinge, aber es liegt natürlich sehr viel an uns Spielern. Es ist ja nicht so, dass die Vereinsführung oder die Trainer verantwortlich sind, sondern gerade wir als Mannschaft. Wir müssen viel enger zusammenrücken und einen viel größeren Teamgeist entwickeln als in den vergangenen Jahren. Dann werden wir auch wieder erfolgreich sein, und mit Erfolg geht dann sowieso alles leichter. Ich hoffe, dass wir dafür den Grundstein in der Vorbereitung legen und in der Vorrunde das nötige Glück haben sowie enger zusammenrücken – und dafür ist jeder einzelne Spieler verantwortlich."
Der Saisonstart hat es in sich. Inwiefern spielt das bei dem eben genannten Vorhaben eine Rolle für die Psyche, sprich dass eventuell Sorgen aufkommen, gleich wieder unten zu stehen?
Martin Harnik: "Wir haben ein schwieriges Auftaktprogramm, aber das kann ja auch eine Riesenchance darstellen. Wir spielen als erstes gegen die Gladbacher, die eine gute Qualität haben und große Ziele verfolgen, die aber mit uns auf Augenhöhe sind. Das hat sich auch beim vergangenen Aufeinandertreffen gezeigt. Wenn wir uns gegen starke Gegner behaupten, kann dies den Effekt verstärken, dass wir alle zusammenrücken. Insofern habe ich keine Sorge. Neue Saison, neues Glück."
So sehen es die Fans wohl auch, zumindest lassen das die Anzahl der verkauften Dauerkarten und die vielen Zuschauer bei der Trikotvorstellung vermuten.
Martin Harnik: "Das sind schöne Nachrichten. Die Euphorie ist zu Beginn einer Saison immer groß, und wir müssen versuchen diese mitzunehmen. Wir dürfen aber nicht alles in das Prinzip Hoffnung legen, sondern können die Aufgaben fokussiert und selbstbewusst angehen. Schließlich haben wir eine starke Mannschaft, wir müssen aber auch als eine auftreten – und das haben wir in der vergangenen Saison zu spät getan."
Das Stichwort Euphorie passt auch gut zum Fußball der deutschen Nationalmannschaft.
Martin Harnik: "Das stimmt. Das Halbfinale war die Kirsche auf der Sahne. Ich habe es zusammen mit einem der Therapeuten in meinem Apartment geguckt, und das war natürlich beeindruckend. Zwischendurch war ich sprachlos, dann musste ich mal wieder lachen, dann habe ich gedacht: oh mein Gott, diese Euphorie in Brasilien, das Schreien der Nationalhymne von allen im Stadion – und dann steht es nach 29 Minuten 0:5, und du siehst die Zuschauer weinen, die fassungslosen Spieler. Die gesamte WM dahin. Einerseits war das natürlich geil für Deutschland, gleichzeitig war da aber auch dieses Leid. Die gesamte WM können die Brasilianer nun wahrscheinlich in die Tonne treten, weil dieses eine Spiel in Erinnerung bleiben wird. Das ist das Historische an dieser WM gewesen."
Auffallend war, wie sehr auch die deutschen Spieler die Brasilianer nach dem Abpfiff getröstet haben. Empfindet ein Profi in solchen Situationen auch Mitleid?
Martin Harnik: "Ich glaube Mitleid ist der falsche Begriff. Es ist eher Mitgefühl. Aber so ist nun mal der Fußball, das ist ja irgendwie auch das Schöne."