Am 29. Januar dieses Jahres, um 21.48 Uhr, machte sich Fassungslosigkeit breit in der Mercedes-Benz Arena, sanken einige VfB Profis zu Boden, schüttelten zahlreiche Anhänger des Klubs mit dem roten Brustring den Kopf. Thiago Alcantara hatte mit seinem Seitfallzieher in der dritten Minute der Nachspielzeit der Nachholpartie zwischen dem VfB und dem FC Bayern München das Geschehen auf den Kopf gestellt und das 2:1-Siegtor für den deutschen Rekordmeister erzielt.
Die Begegnung war ein Knackpunkt für die Rückrunde des VfB. Diese bitterste der drei späten 1:2-Niederlagen in den ersten drei Bundesligaspielen dieses Jahres hatte wohl die größte Auswirkung auf die anschließende Ergebnisabwärtsspirale der Jungs aus Cannstatt, zog die Spielergedanken sicher am stärksten in den Nicht-schon-wieder-hinten-raus-verlieren-Strudel, der in den Folgewochen die Mannschaft begleiten sollte wie ein treuer Hund sein Herrchen.
Für den FC Bayern hingegen war dieser Erfolg ein weiteres Ausrufezeichen hinter der eigenen Unbesiegbarkeit. In das Jahr 2014 startete die Mannschaft von Pep Guardiola mit einem 2:0-Erfolg, auf die Begegnung in der Mercedes-Benz Arena folgten wettbewerbsübergreifend sechs Siege, allesamt ohne ein Gegentor. Zwar waren die Gegner mehrheitlich Abstiegskampfmannschaften aus der Bundesliga, wie sich später herausstellen sollte, aber immerhin bekamen es die Münchner auch mit dem FC Arsenal in der Champions League zu tun.
Ein Titel, drei Biografien und ein bitteres Halbfinale
Nun sind einige weitere Wochen vergangenen, der FC Bayern hat inzwischen die Meisterschaft verteidigt, in Rekordzeit. Noch nie in 51 Jahren Bundesliga ist es einem Team gelungen, den Titel bereits sieben Spieltage vor dem Saisonende zu sichern. Inzwischen ist der FCB abermals in das DFB-Pokalfinale eingezogen. Inzwischen sind zudem die Biografien von Uli Hoeneß ("Hoeness – Die Biografie"), Franck Ribery ("Franck") sowie Dante ("Ich, Dante") auf den Markt gekommen, alle drei im Münchner Riva-Verlag. Inzwischen ist allerdings auch der ehemalige Bayern-Präsident zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weshalb in dessen Biografie auch der Regierungssprecher Steffen Seibert folgendermaßen zitiert wird: "Viele Menschen sind jetzt von Uli Hoeneß enttäuscht. Die Kanzlerin zählt auch zu diesen Menschen."
Inzwischen ist der FCB auf dem Weg zu einem weiteren Rekord aber bitterböse aufgehalten worden. Noch nie hat eine Mannschaft nämlich den Titel der UEFA Champions League verteidigt – und auch die "Super-Bayern", wie ihre Fans gerne skandieren, sind an diesem Vorhaben gescheitert. Real Madrid war in diesem Jahr zu stark, 0:1 in Spanien und 0:4 zu Hause unterlag die Mannschaft von Pep Guardiola gegen die Königlichen. Bereits kurz zuvor verlor der deutsche Rekordmeister gegen den FC Augsburg und Borussia Dortmund, das nun auch im Pokalfinale wartet. Nach den beiden Niederlagen keimte Kritik am bayerischen Trainer auf, er habe ein falsches Signal an seine Mannschaft gesendet, als er nach dem Titelgewinn die Bundesliga für beendet erklärte. Die Luft sei auch deswegen raus gewesen aus seinen Akteuren. Pep Guardiola räumte daraufhin selbst ein, mit seiner Aussage einen Fehler begangenen zu haben.
Bezeichnend war die große Freude im Hinspiel.
"Ein big Riesenfehler"
Wieder ein paar Wochen später betitelte der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe eine Analyse von Pep Guardiolas Spielphilosophie zudem mit der Überschrift "Ein big Riesenfehler" und bezog sich dabei auf den Übungsleiter. "Indem er sein Dogma vom Ballbesitz in einem Umfeld von Skeptikern immer wieder neu erklären und rechtfertigen musste, war Guardiola am Ende selbst ins Zweifeln gekommen. Zuerst hatten seine Spieler die Überzeugung verloren, dann war er selbst ganz durcheinander. Am Ende war er so viele Kompromisse eingegangen, dass Trainer und Mannschaft die Kontrolle verloren – über das Spiel, gegen Real Madrid. Sie waren ausgeschieden. 'Ein big Riesenfehler vom Trainer', radebrechte der Coach", steht in dem Magazin geschrieben. Der Duden leistet für das Verständnis übrigens Abhilfe: "Wer radebrecht, spricht eine fremde Sprache nur mühsam und unvollkommen."
Etwas mühsamer ist es also auch für den spanischen Cheftrainer der Bayern im Verlauf seiner ersten Saison beim deutschen Rekordmeister geworden – und das obwohl er bislang beinahe das Maximalmögliche erreicht hat. "Was der FC Bayern in dieser Saison bisher geleistet hat, ist phänomenal", sagt Giovane Elber nicht umsonst in einem an diesem Dienstag veröffentlichten Interview auf der FCB-Homepage. Schließlich kann er nur in der Königsklasse nicht mehr den Titel holen, aber der FC Bayern wäre nicht der FC Bayern, wenn sie im Umfeld des erfolgreichsten deutschen Klubs zufrieden gewesen wären, ohne dass die Münchner das Triple verteidigen. Unzufrieden war übrigens auch Franck Ribery. "France Football schrieb: 'Ribery träumt vom Ballon d'Or wie kein Zweiter.'", steht in der Biografie über den französischen Nationalspieler. Die Jagd nach dem goldenen Ball, der Auszeichnung als bester Fußballer der Welt, begleitet ihn seit Beginn seiner Karriere, zieht sich auch wie ein roter Faden durch das Buch. Noch nie war er wohl so nah dran wie bei der jüngsten Abstimmung, doch Cristiano Ronaldo ergatterte Platz eins.
Insofern passt dann auch diese individuelle Niederlage zur aktuellen Saison des gesamten FC Bayern. Der ganz große Coup, im Falle der Mannschaft die Tripleverteidigung, ist geplatzt, und der Fußball der Münchner hat schon allein daher ein wenig von seiner Bewunderung in Deutschland eingebüßt. Hinzu kommen nun Medienberichte über unzufriedene, weil nicht ausreichend berücksichtigte Spieler. Klar ist aber auch, dass dies alles die Mannschaft, in der Jerome Boateng gesperrt und Thiago Alcantara, Xherdan Shaqiri, Holger Badstuber sowie Tom Starke verletzt fehlen, am Samstag von 15.30 Uhr an wohl kaum stören wird. Schließlich wollen sich die Münchner den Empfang der Meisterschale vor dem heimischen Publikum nicht vermiesen lassen – genauso wie der VfB den Abschluss einer miesen Saison ordentlich gestalten will, wie Sven Ulreich an diesem Mittwoch vor dem Training sagte. "Wir wollen alles dafür tun, dass wir uns dort gut aus der Saison verabschieden, und wir werden die Punkte sicherlich nicht kampflos abgeben" – so wie Ende Januar, als die Jungs aus Cannstatt dem Rekordmeister alles abverlangten.