Thomas Hitzlsperger hat im September dieses Jahres seine Karriere beendet. Etwa 2 Stunden nahm er sich beim Wiedersehen für die DUNKELROT-Redaktion Zeit. Das Interview war von zahlreichen interessanten Aspekten geprägt, viele davon sind im Mitgliedermagazin nachzulesen, weitere hier in einem Interviewauszug aufgeführt. Der 31-Jährige spricht über soziale Aktionen, über die Unterschiede zwischen England und Deutschland sowie über Krisen und die beste Zeit seiner Karriere – beim VfB.
Hallo Thomas, im Interview vor etwa einem Jahr hast Du von der Aktion "Movember"* erzählt. Damals hast Du beim FC Everton gespielt. Nun ist wieder November, Du hast Deine Karriere beendet und bist in Deine Heimatstadt München zurückgekehrt. Geblieben ist aber sicherlich Dein Interesse für soziales Engagement. Findest Du, dass Fußballprofis verpflichtet sind, sich sozial zu engagieren?
Thomas Hitzlsperger: "Gott sei Dank sind sich viele Spieler ihrer Verantwortung sowie Vorbildfunktion bewusst und handeln dementsprechend – sei es über Stiftungen oder auch im Kleinen. Die Spieler entwickeln zunehmend das Bewusstsein, dass es gut ist, anderen Leuten zu helfen, denen es nicht so gut geht. Nicht jeder hängt sein Engagement an die große Glocke, manche aber schon, um eventuell mehr Spendengelder einzutreiben. Soziales Engagement ist keine Pflicht, aber wünschenswert. In England ist das Bewusstsein groß, aber auch in Deutschland tut sich was. Wir sind auf einem guten Weg."
Was trieb und treibt Dich an?
Thomas Hitzlsperger: "Man kann etwas zurückgeben. Ich habe zwar hart gearbeitet, aber ich hatte auch Glück und wurde unterstützt. Man sollte dabei allerdings nicht nur an Geld denken, auch die Aufmerksamkeit an sich ist schon wichtig. Als Profi ist man ein Vorbild, Fans und Kinder schauen genau hin. Daher ist es auch toll, etwas von seiner Zeit abzuknöpfen, Ratschläge oder Tipps zu geben und für Gespräche da zu sein. Mir war das manchmal gar nicht so bewusst. Aber es gab immer wieder die Rückmeldung, dass es super war, dass manche das Treffen lange in Erinnerung behalten würden – sei es von Kindern oder Erwachsenen. Das ist natürlich eine Bestätigung. Aber man muss sich auch bewusst sein, dass man in erster Linie Profi ist…"
…das bedeutet?
Thomas Hitzlsperger: "Dass man soziales Engagement nicht regelmäßig im großen Stil machen kann. Denn man soll sich ja nicht aufreiben und in erster Linie an seinen Job denken. Eine Balance ist wichtig, und ich glaube, dass mir das gut gelungen ist. Eines muss man aber immer bedenken: wenn man verliert, wird einem alles um die Ohren gehauen – egal, was man macht. Und wenn man nichts macht, dann wird einem das um die Ohren gehauen."
Schließlich sind Fußballprofis öffentliche Personen…
Thomas Hitzlsperger: "…und das ist schön sowie anstrengend zugleich. Man kann das aber ein bisschen steuern. Ich kann beispielsweise etwas forcieren, indem ich öfter mit der Presse spreche oder vor die Kameras dränge. Schwieriger ist es, sich der Öffentlichkeit zu entziehen. Um mit dieser Öffentlichkeit umzugehen, benötigt man eine gewisse Reife oder einen guten PR-Berater. Deshalb glaube ich, dass diejenigen, die es in den Profifußball schaffen möchten, schneller erwachsen sein müssen. Um sich durchzusetzen, um dem Druck standzuhalten, um als öffentliche Person zurechtzukommen. Diejenigen, die es schaffen, sind in gewissen Aspekten schon erwachsen, auch wenn sie vielleicht manchmal etwas jung oder unreif wirken."
Kehrte nach München zurück: Thomas Hitzlsperger
Inwiefern kann sich ein Profi auf die verschiedenen Drucksituationen oder Krisen einstellen?
Thomas Hitzlsperger: "Jede Krise war irgendwie anders, man konnte sich nicht vorbereiten. Auch jeder Erfolg war anders. Deswegen muss man sich immer neu einstellen. Natürlich ist es leichter, mit einem Erfolg umzugehen, jedenfalls war das bei mir der Fall. Schwächephasen gehören aber dazu, das ist ganz normal. Man sollte in solchen Phasen noch deutlicher machen, dass man alles tut, Demut zeigen und versuchen, die Fehler genau zu analysieren. Weniger reden hilft auch."
Das mit dem Zurücknehmen ist sicher gar nicht so leicht, vor allem als Kapitän. Die Medien haben schließlich auch ein Recht auf Stellungnahmen.
Thomas Hitzlsperger: "Das stimmt, allerdings muss man oft etwas sagen, wenn es nichts zu sagen gibt. Und was soll man denn sagen, wenn man erst einmal selbst nicht so genau weiß, warum es im Spiel nicht so gut lief. Bei Siegen war das Ausschmücken dann natürlich leichter, und die Interviews sind viel unkomplizierter. Das ist ein Geben und Nehmen. Aber der Profi weiß, dass es nach Phasen des medialen Abfeierns auch wieder in die andere Richtung gehen wird."
Und wie kommt ein Profi mit dieser Kritik zurecht?
Thomas Hitzlsperger: "Das hängt von der Persönlichkeit des jeweiligen Spielers ab. Dem einen macht sie nicht viel aus, ein anderer hält sich länger damit auf. Das hindert dann durchaus. Es ist hilfreich, nichts zu lesen, aber man spürt die Kritik und kann sich dem nicht komplett entziehen, außerdem können Profis ihre Leistung selbst einschätzen. Hier herrscht übrigens ein Unterschied zwischen Deutschland und England. In der Bundesliga wird nach einer Niederlage mal ein trainingsfreier Tag gestrichen und das Spiel vom Wochenende noch am Mittwoch nachbetrachtet. Da ist es dann auch schwieriger, die Kritik auszublenden. In der Premier League verliert man am Samstag, hat am Sonntag frei und blickt am Montag auf die nächste Partie – nach dem Motto: wir müssen das abhaken und nach vorne schauen."
Welche Unterschiede hast Du bei Deinen verschiedenen Stationen noch ausgemacht?
Thomas Hitzlsperger: "In Italien war ich zu kurz, um darüber etwas sagen zu können. In Deutschland sind die Fans noch näher dran, sie wollen auch mehr von den Spielern wissen. Die Klubs versuchen zudem intensiver, die Anhänger zu informieren sowie die Distanz zwischen der Mannschaft und den Fans nicht zu groß werden zu lassen. Beim VfB hatte ich ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Ich musste als Kapitän mit dem Manger Horst Heldt bei einem Fanclub erscheinen, als es nicht gut lief. Die Fans waren stinksauer, wollten von mir wissen, warum wir so schlecht spielten. Teilweise war die Stimmung richtig feindselig. Die Fans wollten spüren, dass sie ernstgenommen werden und dass wir Spieler wahrnehmen, dass sie sich auch voll reinhängen. Etwas Vergleichbares habe ich in England nicht erlebt. Dort sind die Fans nicht so nah an der Mannschaft dran. Andererseits schauen die Engländer neidisch auf die niedrigeren Ticketpreise in Deutschland."
Neidisch blicken sicherlich auch andere Profis auf Dich, weil Du nicht nur in der Nationalmannschaft gespielt hast, sondern auch mit dem VfB Deutscher Meister geworden bist.
Thomas Hitzlsperger: "In Stuttgart hatte ich definitiv meine beste Zeit. Ganz klar. Eine Meisterschaft ist einzigartig. Was da rundherum alles passiert, einfach sensationell! Davon träumt man als kleiner Junge. Danach stellt sich die Frage, ob sich der ganze Aufwand gelohnt hat, nicht mehr. Wir hatten eine längere Phase, in der viele oft schon zwei Stunden vor dem Trainingsbeginn auf dem Gelände und heiß auf die Einheit waren. Wir hatten Spaß und haben uns rundum wohl gefühlt, das war deutlich zu sehen."
Aber, wie Du schon vorhin sagtest, nach dem Berg kommt auch wieder ein Tal, oder?
Thomas Hitzlsperger: "Als es nach dem Titel nicht mehr so gut lief, war die Kritik aufgrund der gestiegenen Erwartungen gleich sehr hart. In dem einen Moment jubelt dir die halbe Stadt zu, und nur Monate später heißt es gleich, die seien satt. Das kann belastend sein. In England habe ich das nicht erlebt, ich habe allerdings auch keine Meisterschaft gewonnen. Ich habe derweil kaum schlechte Erfahrungen mit der Presse dort gemacht, es war stets ein gemäßigter Umgang. Eine Sache könnten sich die Engländer allerdings sparen: die Aufnahmerituale. Früher bin ich noch drum herum gekommen, aber im vergangenen Jahr in Everton musste ich in der Kantine auf einem Stuhl stehend vor der versammelten Mannschaft singen – und dabei wird man dann auch noch mit Essen beworfen."
* Jedes Jahr im November ist Movember für das Sprießen von Millionen Schnurrbärten weltweit verantwortlich. Mit ihren 'Mo’s' sammeln die Männer wichtige Spenden und steigern das Bewusstsein für Prostata- und Hodenkrebs sowie psychische Gesundheit. Als unabhängige weltweite Stiftung ist es die Vision von Movember, der Gesundheit von Männern dauerhaft ein neues Gesicht zu geben." So beschreibt sich die Stiftung auf ihrer Homepage selbst. Hier sind weitere Infos erhältlich.
Karrieredaten
Klubs*
Zeitraum | Klub | Land |
---|---|---|
Oktober 2012 - Juni 2013 | FC Everton | England |
August 2011 - Juni 2012 | VfL Wolfsburg | Deutschland |
Juli 2010 - Juni 2011 | West Ham United | England |
Januar 2010 - Juni 2010 | Lazio Rom | Italien |
Juli 2005 - Januar 2010 | VfB Stuttgart | Deutschland |
Dezember 2001 - Juni 2005 | Aston Villa | England |
Oktober 2001 - Dezember 2001 | FC Chesterfield | England |
Juli 2000 - Oktober 2001 | Aston Villa | England |
Klubspiele*
Wettbewerb | Spiele | Startelf | Tore |
---|---|---|---|
Champions League | 7 | 5 | - |
Europa League | 15 | 12 | 1 |
Bundesliga | 131 | 116 | 20 |
DFB-Pokal | 17 | 15 | 7 |
Premier League | 117 | 89 | 10 |
FA Cup | 5 | 2 | 1 |
Serie A | 6 | 2 | 1 |
Länderspiele*
Wettbewerb | Spiele | Startelf | Tore |
---|---|---|---|
WM | 1 | - | - |
WM-Qualifikation | 9 | 9 | 1 |
Confed Cup | 3 | 3 | - |
EM | 5 | 3 | - |
EM-Qualifikation | 8 | 5 | 4 |
Testspiele | 26 | 17 | 1 |
Quelle: weltfussball.de