"Von hier über London direkt nach New York" singt der schwäbische Rapper Cro in seinem Lied "Einmal um die Welt". Ganz so weit hatten es die VfB Fans am vergangenen Donnerstag nicht. Vielmehr hieß ihr Songtext "Von Stuttgart über Aachen direkt bis nach Genk", zumindest für diejenigen, die mit dem Party-Fanzug zum Rückspiel in der UEFA Europa League nach Belgien reisten. Doch sie waren dabei mindestens genauso gut gelaunt wie die Anhänger des Musikers bei dessen Konzerten.
Wir haben die etwa 140 VfB Fans begleitet und darüber in der STADION aktuell zum Pokal-Spiel gegen Bochum berichtet. Hier werden nun noch weitere Eindrücke von der Fanzug-Reise veröffentlicht.
09:40 Uhr, Hauptbahnhof Stuttgart: Reges Treiben in der Bahnhofshalle. Unter den herumwuselnden Passanten entlarven die VfB Fanartikel die Personen, die sich auf Gleis sechs begeben müssen, wie aus den Lautsprechern zu hören ist. Dort prangt "VfB Sonderzug, Aachen Hbf., Abfahrt 10:10 Uhr" auf der Anzeigetafel. Einige Anhänger des Klubs mit dem roten Brustring decken sich in den Bahnhofsläden noch mit Proviant ein.
09:50 Uhr: Eine Gruppe älterer Männer inspiziert den Fanzug von außen, schreitet das Gleis entlang, verschwindet dann aber wieder. Dabei hätten die Herren durchaus zu der bunten Mischung an Mitfahrern gepasst – von jung bis alt, der Fußball interessiert alle Generationen. Erwartungsgemäß sind aber die Frauen in der Unterzahl.
09:55 Uhr: Allgemeine Verkehrskontrolle: Mitarbeiter des Eisenbahnbundesamtes überprüfen Bremsen und Kupplungen, kontrollieren den Führerschein des Lokführers. Eine Besonderheit, denn die vorherige Stichprobe liegt schon sehr lange zurück, sagt Claus-Jürgen von der veranstaltenden Schienenverkehrsgesellschaft mbH (SVG). Währenddessen begrüßt der VfB Fanbeauftragte Ralph zahlreiche Mitfahrer, er kennt etwa zwei Drittel. Kein Wunder, er ist ja schon seit 1990 dabei und organisierte früher die Zugfahrten noch selbst. "Ich fahre gerne Zug", sagt er. Auf der Schiene kann sich ein VfB Fan auch heimisch fühlen, schließlich ziert jeden Fernzug der Deutschen Bahn ein roter Brustring.
10:28 Uhr: Das Kontrollergebnis ist positiv, die vier Waggons setzen sich in Bewegung, drei mit Personen-Abteilen einer mit Bar und Tanzfläche. Einige Fans applaudieren.
Etwa 10:50 Uhr, Höhe Ludwigsburg: Fans aus dem Nachbarabteil brechen in Richtung Partywaggon auf und kommen wenig später mit Bierbechern zurück. Kurz darauf spricht Ralph, den viele Fans auch als "Klenky" kennen, mit den Veranstaltern, die mittlerweile seit etwa 15 Jahren Fußball-Ausfahrten organisieren, und tauscht Pläne aus. Schließlich soll die Fahrt reibungslos verlaufen. Claus-Jürgen bringt bereits Ideen für mögliche Reisen nach Rom ein. Weitere Fans sind derweil in Bietigheim-Bissingen und Mühlacker zugestiegen.
Etwa 140 Fans fuhren im Party-Fanzug nach Genk.
11:30 Uhr, kurz hinter Bruchsal: Musik ertönt aus den Lautsprechern in den Abteilen. "Tage wie diese" ist das zweite Lied – wie passend. Die Brustringer aus dem Nachbarabteil transportieren mittlerweile Bier-Pitcher herbei. "Bei der Hinfahrt sollten die Fans immer aufpassen, schließlich wollen sie ja noch ins Stadion", sagt Ralph.
Gegen 12:00 Uhr, am Eingang zum Disco- und Bar-Waggon: Markus und Nico kommen gerade von der Tanzfläche. "Es ist einfach eine geile Party und außerdem kann man mit vielen anderen Fans sprechen", sagt Nico und sein Kumpel Markus ergänzt: "Toll ist, dass man sich zwischendurch auch mal im Abteil ausruhen kann. Man muss aber bei der Rückfahrt aufpassen, denn es kommt schon mal vor, dass einige den Zug verpassen." Im Hintergrund werden Maultaschen serviert, die Fans singen VfB Lieder, sie tanzen. Der Zug ruckelt, kippt etwas, ein Fan verschüttet Bier auf den Reporter und die Kamera-Tasche. Sofort folgen die Entschuldigung sowie die Nachfrage, ob alles okay ist mit dem Fotoapparat. Es ist alles okay und weiter geht’s. Hans, graues Haar, "(meist) humorvoller Zeitvertreiber", wie die Visitenkarte verrät, steht mittlerweile daneben. Wenn er mit dem Fanzug reist, verbringt er die Zeit häufig im Restaurant-Waggon und in der erste Klasse. Dass diesmal vier Waggons ausreichen und es beides nicht gibt, stört den Fan aber nicht. "Es macht einfach Spaß hier", sagt er und ergänzt mit einem Schmunzeln: "Meine Frau kann das aber nicht verstehen."
Etwa 12:45 Uhr: Weiter geht’s hinter die Bar, wo kräftig ausgeschenkt, aufgetischt und gewerkelt wird. "Das ist eine Rundumversorgung für die Fans", sagt Tobias, der die Anhänger auf der anderen Seite des Tresens versorgt. Er ist genauso gut gelaunt wie Cornelius von der SVG. Dieser grinst häufig, zapft Hopfen- und Malzgetränke und sagt: "Die Stimmung im Zug ist eigentlich immer gut, sowohl bei der Hin- als auch bei der Rückfahrt. Da drückt auch eine Niederlage nicht aufs Gemüt." Aus einer Schnapsidee an Silvester Mitte der 90er Jahre sei der Party-Waggon hervorgegangen. "Wir machen das, weil es uns Spaß macht", sagt er. Er kennt einige Fans an der Theke, viele kennen ihn, schließlich ist er sehr oft dabei. "Wir nehmen immer das Maximale mit", sagt Cornelius in Bezug auf den Biervorrat, "im Schnitt so zwei Liter pro Person." Das macht also diesmal 280 Liter. Die Fässer türmen sich hinter dem Ausschank. Es ist eng, aber sie eignen sich hervorragend zum Herumkraxeln, um in gute Positionen für das Fotografieren zu kommen.
13:02 Uhr: Draußen schlängelt sich der Rhein durch die Landschaft, drinnen ertönt "Wir wollen den VfB heute siegen sehen und dann gegen Rom spielen" aus den Boxen. Daraufhin grölen alle: "Ohhhhohohhohhoooo – jaaaa der VauEffBee…" Die Stimmung ist blendend. Auf zum DJ. Die Hälfte des Party-Waggons ist abgedunkelt, Lichteffekte und Rauch vermitteln ein Gefühl wie in einem normalen Disco-Raum. Hinter einer Plexiglas-Scheibe und dem DJ-Pult steht Dennis. Er verdient sich nebenbei etwas mit dem Auflegen in Stuttgarter Clubs und sagt: "Hier fahre ich nicht wegen des Geldes mit, sondern wegen der Stimmung. Die ist unbeschreiblich." Schlager und Rocksongs seien diesmal angesagt, weil der Männeranteil größer ist. Und natürlich dürfen auch VfB Songs nicht fehlen. Dennis nimmt das Mikrophon und stimmt an: "Ohhhhohohhohhoooo…" – und die Fans singen weiter.
Etwa 13:30 Uhr: Auf dem Rückweg in Waggon eins ein kleiner Zwischenstopp im Abteil von Mitgliedern des Fanclubs Alt-Württemberg. Fünf Jungs, ein Mädel, für ein Kurzinterview muss der Reporter erst einmal einen Schnaps trinken. Alles für die Recherche, also gluggert der kleine Hüpfer in den Schlund. Namen sollen hier dennoch nicht fallen. Egal. "Warum seid Ihr dabei?“ Einer nimmt den Notizblock und schreibt: „Wir lieben Fußball, Party, Alkohol!!!" Die Fans diskutieren über den VfB, rufen immer mal wieder Schlachtengesänge in den Gang und sie, die Henne im Abteil sozusagen, fügt verbal noch etwas an die Aufzählung des Kollegen an: "Es geht um Herzblut."
14:38 Uhr: Eine SMS aus einem der Fanbusse erreicht unterdessen den Reporter, in diesem sitzt ein befreundeter Anhänger. "'Ohne Klaus wär hier gar nix los' – der Busfahrer wird für jeden Stopp an der Raststätte, jedes Überholmanöver der anderen Fan-Busse und jede Wasserstandsmeldung über verbliebene Bier-Vorräte gefeiert. Den Stau Höhe Koblenz kann er trotzdem nicht verhindern", simst Bastian und macht damit Vorfreude auf den Abend. Schließlich scheinen auch die anderen VfB Fans bester Laune zu sein.
Gegen 15 Uhr, kurz vor Köln-Süd: Der Zug hält an, es ist die einzige außerplanmäßige Pause. Schließlich ist "der Fahrplan so konstruiert, dass es möglichst wenig Halte gibt", sagt Claus-Jürgen von der SVG. Im Prinzip habe der Sonderzug daher Vorrang vor dem Regionalverkehr. Wenn eine Fanzug-Fahrt ansteht, schreiben er und seine Kollegen an die Bahngesellschaften der betreffenden Länder und fordern einen Fahrplan an. Meist wird dabei von der Ankunftszeit her rückwärts gerechnet, also erst das Ausland und dann Deutschland kontaktiert. Den Halt nutzt ein Fan aus dem Nachbarabteil, um das Gangfenster zu öffnen und eine Zigarette zu rauchen, wobei dies auch im Zug erlaubt ist. Die Sonne scheint und er schreit "Kölle alaaf". Das passt insofern, als dass die Fahrt in so einem Party-Fanzug vergleichbar mit einer Karnevalsveranstaltung ist.
15:41 Uhr, Hauptbahnhof Aachen: "Hurra, hurra, die Schwaben, die sind da", hallt es über die Gleise. Singen, pinkeln, umsteigen, das ist nun angesagt. Denn von hier aus fahren zwei Busse weiter nach Genk. Der Grund: die Gebühr für die Weiterfahrt mit dem Zug (Trassennutzung, Lokführer-Kosten, et cetera) würden sich auf zirka 16.000 Euro belaufen. Daher ab in den Doppeldecker und auf nach Belgien. Während der Fahrt werden immer mal wieder Fans beim Busfahrer vorstellig. Sie wollen ihre Getränkevorräte aufstocken. Als ein VfB Anhänger aus Biberach seine Bestellung aufgibt, soll er sich schnell hinsetzen und anschnallen, weil ein Polizeiauto gerade am Straßenrand steht. Zeit für einen kurzen Plausch: "So eine Ausfahrt ist gemütlich, einfach schön", sagt er und verschwindet mit seinen Getränken.
16:37 Uhr: Gerade passierten die zwei Busse die belgische Grenze, nun ist erstmals "Genk" auf den Straßenschildern zu lesen. Der nächste Brustring-Anhänger steht neben dem Fahrer, der Getränkevorrat ist mittlerweile aufgebraucht. "Auswärts ist es immer geiler", sagt er. "Man kann sich den ganzen Tag über einstimmen, alle sind in Feierlaune." Bei einem Heimspiel am Donnerstagabend nach dem Arbeiten sei man geschafft, geht noch in die Mercedes-Benz Arena und "nimmt das Spiel dann halt so mit".
17:02 Uhr, Cristal Arena: Ankunft am Stadion, wo bereits Busse und Autos mit bekannten schwäbischen Kennzeichen stehen. Die Zugfahrer treffen auf die anderen knapp 2.000 VfB Fans, der Anpfiff rückt näher, die Vorfreude steigt. Beim Einlass ins Stadion verhalten sich alle gut, die personalisierten Ticketkontrollen verlaufen problemlos.
19.00 Uhr: Anpfiff. Der Rest ist schnell erzählt: Um 19:45 Uhr Jubel über Arthur Bokas 1:0; 20:13 Uhr Ekstase, weil viele nach dem Tor von Christian Gentner schon von Rom träumen; 20:50 Uhr, springen, hüpfen, singen, grölen, jubeln, die Mannschaft tanzt auf dem Rasen und feiert mit den Fans den Einzug ins Achtelfinale der UEFA Europa League; dann geht’s ab in den Bus nach Aachen, dort in den Party-Fanzug und von da an gilt wieder: Feiern, feiern, feiern - aber auch ausruhen in den Abteils.
03:57 Uhr: Ankunft Stuttgart Hauptbahnhof. Zufrieden, erschöpft und mit der Vorfreude auf die Partien gegen Lazio Rom ziehen die VfB Fans nach Hause.
Vielen Dank für Eure tolle Unterstützung und die Sause in Genk! Leider wird es Ähnliches in Rom nicht geben, aber dafür ist es umso wichtiger schon bei der Heimpartie gegen Lazio am 7. März ordentlich Stimmung zu machen, um eine gute Ausgangslage für das Rückspiel zu schaffen. Denn beim Einzug in die nächste Runde können sich alle wieder auf eine tolle internationale Auswärtsfahrt freuen. Heja VfB!