Henning, 30, Jurist, und Rasmus, 29, Gymnasiallehrer, sind häufig einer Meinung. Beim Fußball kommen sie aber nur selten auf den gleichen Nenner. Henning ist seit etwa 25 Jahren VfB Fan, Rasmus wurde als Kleinkind Anhänger des HSV. Für uns haben sich die beiden Kumpels Zeit genommen, um über die Partie am Sonntag in der Mercedes-Benz Arena (17.30 Uhr) und die Erlebnisse mit ihren Klubs zu sprechen: von traumatischen Busfahrten über märchenhafte Feiern bis hin zu Papierkugeln – und natürlich darf auch eine Wette nicht fehlen.
Hallo Henning, hallo Rasmus. Wie seid Ihr zu Euren Klubs gekommen?
Henning: "Bei Dir ist das ja umso verwunderlicher, beginn Du doch bitte mal, Rasmus."
Rasmus: "Eigentlich ist es gar nicht verwunderlich. Häufig ist man Fan von dem Klub, bei dem man in der Nähe lebt, und da ich bei Hamburg geboren wurde, ist es der HSV. Ein Fußballverein ist ein wenig so wie Familie, das suchst Du Dir nicht aus…"
Henning: "…da bist Du aber in eine extrem schlechte Familie hineingeboren worden…" (lacht)
Rasmus: (lacht) "…Das entwickelt sich dann weiter und wird durch besondere Spieler oder Erlebnisse verstärkt. Und so wurde es der Verein, hinter dem man von da an stand – egal ob der mal einen Pokal oder eine Meisterschale gewinnt, oder ob er das in der eigenen Wahrnehmung, seitdem man geboren ist, nie gemacht hat."
Du hast von besonderen Spielern gesprochen, welche waren das bei Dir?
Rasmus: "Harald Spörl natürlich, Valdas Ivanauskas, da gab es schon geile Typen. Auch Ali Albertz, als ich dann ein wenig älter war."
Und bei Dir, Henning?
Henning: "Bei mir ist es eine andere Geschichte, denn ich komme eigentlich aus Freiburg. Aber mein Cousin, der damals mein großes Vorbild gewesen ist, war VfB Fan und so kam ich dann mit etwa sechs Jahren dazu. Ich hatte natürlich die 'Panini'-Aufkleber und auch ein Klinsi-Autogramm. Das habe ich immer noch…"
Rasmus: "…Uli Stein war damals auch noch ganz wichtig für mich. Ich hatte so ein Faible für Torhüter…"
Henning: "…Eike Immel war natürlich auch ein ganz großer."
Henning fiebert mit dem VfB, während...
...sein Kumpel Rasmus (links) HSV-Fan ist.
Auf den ersten Kontakt folgt das erste Stadionerlebnis mit seinem Klub. Wie war das bei Euch?
Henning: "Bei mir war es sehr traumatisch. Ich war damals D-Jugendspieler beim SV Kirchzarten und wir sind mit der Jugendabteilung nach Stuttgart gefahren, zum Spiel gegen Freiburg. Daher war der Bus voll mit SC-Fans, Freiburg war damals im Abstiegskampf und der VfB oben mit dabei. Am Ende gab es ein bitteres 0:4 und die Rückfahrt war dementsprechend übel. Drei Stunden lang SC-Lieder anhören, das war natürlich hart. Aber danach hatte ich auch schönere Stadionerlebnisse."
Rasmus: "Ich kann mich noch an ein 2:1 gegen Frankfurt erinnern. Ich war damals so zehn Jahre alt und mit meinem Papa im damaligen Volksparkstadion, das noch nicht überdacht war und eine Tartanbahn hatte. Etwa 20.000 Fans waren zu der Zeit meist nur dabei, darunter auch viele Verrückte. Ich war dann auch mal in der Westkurve im Block E, außerdem kann ich mich noch an ein UEFA-Cup-Spiel gegen Monaco erinnern. Meine Oma hatte uns Mülltüten zum Anziehen gegen den Regen mitgegeben, weil man damals vollkommen der Witterung ausgesetzt war. Und mit etwa 16 Jahren bin ich mal allein mit einem Kumpel im Abstiegskampf gegen Hertha BSC, glaube ich, ins Stadion. Wir haben 1:1 gespielt und danach sind wir zum Hauptbahnhof, um mit dem Zug nach Hause zu fahren. Dort waren ungefähr 3.000 Hertha-Fans, die eine Ebene über uns standen und '2. Liga – Hamburg ist dabei' brüllten. Das hallte durch den gesamten Bahnhof, aber wir sind natürlich nicht abgestiegen und Hertha irgendwann doch, und dann habe ich gesungen." (lacht)
Ihr habt Euch dann in Tübingen kennengelernt vor einigen Jahren und daher sicherlich auch schon gemeinsame Stadionbesuche gehabt. Erzählt mal.
Henning: "2011 im DFB-Pokalspiel waren wir gemeinsam im Stadion. Rasmus im Verlierer-Block, ich im Gewinner-Block, 2:1 für den VfB. Das war einer der verdientesten Siege, die ich jemals für den VfB gesehen habe…" (schmunzelt)
Rasmus: (lacht)
Henning: "Sven Ulreich war in dem Spiel überragend, er hat einfach alles rausgefischt…"
Rasmus: "…Ulreich war wirklich überragend, aber was wir auch für Chancen ausgelassen haben…"
Henning: "…richtig üble Dinger, das ging gar nicht. Dementsprechend schön war natürlich die Häme, als wir uns nach dem Spiel getroffen haben und ich schon von weitem gesehen habe, wie sich die Raute mittlerweile in sein Gesicht hineingezogen hatte. So sauer war er…"
Rasmus: "…man muss aber bei diesem Negativerlebnis auch sagen, dass wir eigentlich fast wöchentlich zusammen die Bundesliga schauen und es immer rauf und runter geht. Wenn wir mal nicht zusammengucken, dann schicken wir uns immer Ferngläser oder mittlerweile auch Teleskope als Smiley auf dem Handy hin und her, um zu zeigen, dass der eine Klub weit vor dem anderen ist. Beim VfB werde ich immer nervös, weil er häufig abgehängt ist und dann am Ende doch noch die Kurve kriegt."
Henning: "Das ist mittlerweile ein Trauma für ihn."
Das HSV-Teleskop fährt dann mit zunehmender Saisondauer quasi immer mehr ein…
Rasmus: "Ich würde sogar sagen es kippt gegen Ende um und geht kaputt. Trotzdem wette ich neben dem Zwist mit Henning auch immer mit meinen Schülern. Das wird auch ins Klassenbuch eingetragen, in dem dann steht: „Herr Joost wettet gegen die komplette Klasse 9a.“ Manchmal verliere ich dann auch und das bedeutet als Sportlehrer Fußballspielen und als Gemeinschafts- oder Chemielehrer ganz viel Schokolade mitbringen."
Das Stichwort Wette passt für den kommenden Sonntag natürlich auch. Da müsst Ihr schon was machen?
Henning: "Es muss aber auch wehtun."
Rasmus: "Also ich glaube erst einmal, dass der HSV gewinnt oder unglücklich unentschieden spielt. Individuelle Klasse wird sich durchsetzen..."
Henning: "…Ich glaube, dass der VfB gewinnt. Man darf nicht vergessen, dass René Adler immer noch traumatisiert ist von dem Freistoß, den ihm Thomas Hitzlsperger 2009 dermaßen um die Ohren gehauen und er die Fäuste nicht hochbekommen hat. Er hat immer noch Angst vor dem VfB, deswegen wird der HSV ordentlich verlieren – und falls nichts mehr hilft mach ich den hier, ich bin ja im Stadion." (knüllt ein Blatt Papier zusammen und schmeißt es Rasmus hin, in Anspielung auf die Papierkugel, die 2009 mitverantwortlich für das Ausscheiden gegen Bremen in der Europa League gemacht wurde; beide lachen)
Rasmus: "Der Verlierer muss beim nächsten Duell in Stuttgart mit in den anderen Fan-Block…"
…aber mit den entsprechenden Fanartikeln?!
Henning: "Okay. Man muss aber auch mitsingen, also Rasmus kommt mit VfB Schal in die Cannstatter Kurve und feiert mit dem VfB."
Rasmus: "Na gut."
Weil sich nun also einer von Euch beiden in der kommenden Saison für 90 Minuten verstellen muss, passt die nächste Frage ganz gut. Was beneidet Ihr denn am anderen Klub?
Rasmus: "Das ist ganz klar: der VfB ist in der jüngeren Vergangenheit Deutscher Meister geworden. Der größte Neid also, dafür hasse ich den VfB eigentlich. Da ich beim HSV-Pokalsieg vier Jahre war, habe ich keinen großen Erfolg wirklich registriert – und Henning hat als Erwachsener eine Meisterschaft erlebt. Das ist einfach unfassbar."
Henning: "Was soll ich da jetzt noch sagen…vielleicht dass der HSV mit Lotto King Karl eine lebende Legende hat. Und der Song ist natürlich auch legendär. Darauf kann man schon ein bisschen neidisch sein."
Und warum ist Euer Klub der geilere?
Rasmus: "Geilere Fans, geilere Stadt, geileres Stadion. Geilere Charaktere in der Mannschaft, schon immer. Das ist einfach Liebe. Wir gelten ja auch als der demokratischste Verein der Bundesliga, weil die Fans so viel Mitspracherecht haben. Daher wird auch viel auf Faninteressen wertgelegt, das gefällt mir."
Henning: "Das Geilere beim VfB beginnt schon beim Maskottchen. Fritzle ist weitaus cooler als der Dino. Wer oder was ist das eigentlich, das kennt gar keiner…"
Rasmus: "…Dino Hermann…"
Henning: "…Ah, Hermann Rieger…"
Rasmus: "…Guter Mann…"
Henning: "…das stimmt. Aber dennoch gilt: nur der VfB. Ganz einfach, es gibt nichts anderes. Da sind es natürlich die gleichen Argumente wie bei Rasmus."
Bruno Labbadia war bei Euren beiden Klubs Trainer, das verbindet Euch gewissermaßen auch.
Rasmus: "Er hat damals extrem stark in Hamburg begonnen. Ich habe noch eine ausgeschnittene Tabelle, als wir Tabellenführer waren. Das war ein wirklich unfassbarer Start. Auch wenn wir dann eingebrochen sind, habe ich ihn schon damals für einen guten Trainer gehalten…"
Henning: "…das stimmt. Bruno Labbadia ist ein Guter. Der Schwabe an sich neigt ja immer zum Bruddeln, aber für die hiesigen Verhältnisse macht er eine richtig gute Arbeit. Ich denke, es ist extrem schwierig mit solch einem dünnen Kader auf drei Hochzeiten zu tanzen, von daher sehe ich wenige Kritikpunkte und den VfB vielmehr auf einem guten Weg."
Rasmus: "Wer ist eigentlich derzeit Dein Lieblingsspieler, Henning?"
Henning: "Im Moment ist es Ibrahima Traoré. Er sorgt für Spielwitz und belebt das Geschehen. Ansonsten Georg Niedermeier, ich bin großer Fan von ihm, er spielt einfach souverän. Mittlerweile finde ich auch Christian Gentner immer besser. Er war lange ein unterschätzter Spieler, aber in dieser Saison dreht er richtig auf und spielt einen schönen Fußball. Und bei Dir, Rasmus?"
Rasmus: (lacht) "Immer noch Sergej Barbarez. Kann man ihn nicht noch einmal so fitspritzen, dass er wieder dabei ist. Außerdem war natürlich das Comeback von Raphael van der Vaart unfassbar geil und ich bin außerdem ein Riesenfan von Milan Badelj. Ich finde es überragend, was er für ein Auge hat und für Pässe spielt. Er geht zudem robust in die Zweikämpfe und macht gute Körpertäuschungen."
Ihr habt vorhin schon ein paar Erlebnisse mit Euren Klubs angeschnitten. Welches war das beste?
Henning: "Für mich war es natürlich die Meisterschaft 2007. Ich war auf dem Schlossplatz, das war schon richtig, richtig groß. Brutal voll und eine wahnsinnige Stimmung. Man hat sich ein bisschen an das Sommermärchen 2006 erinnert gefühlt. Es war alles positiv, die Leute waren nur am Feiern. Fanta 4 haben dann auch noch abgerockt. Das war insgesamt ein geile Sause."
Rasmus: "Da wir nichts gewonnen haben, gibt es nicht den spektakulären Momente. Das waren vielmehr ein paar kleine Erlebnisse, wie zum Beispiel im Jahr des Abstiegskampfes vor zwei Jahren, als wir in Stuttgart zur Pause 0:1 zurücklagen, erwachsene Fans in der Halbzeit auf dem Klo geweint und wir das Spiel dann noch gedreht haben. Das war natürlich unfassbar geil, damals im Fan-Block zu stehen. Oder in der gleichen Saison der Sieg gegen Hannover: Ich war auf dem Rückweg von Prag und musste auf einen Parkplatz fahren, als die Bundesliga-Konferenz im Radio lief, damit ein Kumpel weiterfahren konnte. Ich war so aufgeregt, da hatte ich richtig Herzrasen. Etwas untergegangen sind derweil die erfolgreichen Jahre im Europa-Pokal, als wir zwei Mal hintereinander im Halbfinale waren. Wobei das dann auch mit die schlimmsten Erlebnisse waren, da wir mit einem Doppelpack gegen Fulham und wegen der Papierkugel gegen Bremen ausgeschieden sind."
Am Sonntag um 17.30 Uhr ist es nun wieder soweit. Eure zwei Klubs treffen in der Mercedes-Benz Arena aufeinander. Wie seht Ihr die aktuelle Form Eurer Teams?
Rasmus: "Wenn wir die vergangenen zwei Spiele gewonnen hätten, würden wir auf einem Champions-League-Qualifikationsplatz stehen…"
Henning: "…hätte, hätte, Fahrradkette…"
Rasmus: "…das stimmt zwar, aber das ist eben der Punkt. Immer wenn es für den HSV nach oben gehen könnte, klappt es nicht. Nun hat es zweimal nicht geklappt, daher gewinnen wir jetzt gegen den VfB. Denn der HSV punktet in dieser Saison regelmäßig, aber halt nie am Stück."
Henning: "Beim VfB war der Beginn in die Rückrunde natürlich schwach, aber ich finde, dass man in einigen Partien gesehen hat, was gehen kann. Auch in Leverkusen war die Mannschaft nah dran und es lief unglücklich. Von daher erwarte ich mir gegen den HSV, eine spielerisch schwächere Mannschaft als Leverkusen, dass drei Punkte mal wieder drin sind."
Und was erwartet Ihr für ein Spiel?
Rasmus: "Ich denke, dass es ein Duell auf Augenhöhe wird, in dem es nicht so viele Chancen geben wird. Es wird vielmehr eher hart umkämpft sein. Aber eigentlich spielt der HSV in dieser Saison recht effektiv, daher rechne ich auf jedem Fall mit einem Tor. Wer das erste Tor macht, hat gute Chancen das Spiel zu gewinnen. Und das machen wir, ich hoffe auf ein 2:1."
Henning: "Ich glaube, dass es kein sehr attraktives Spiel wird. Das liegt natürlich auch am Gegner, aber es reicht für einen 2:0-Sieg."
Könnt Ihr die Partie zusammen anschauen?
Henning: "Rasmus ist ja mittlerweile Trainer von einem A-Ligisten und er hat leider ein Punktspiel am Sonntag…"
Rasmus: "…das erste Mal seit Jahren kann ich den HSV in Stuttgart nicht im Stadion sehen. Das ist natürlich schade."
Henning: "Ich werde aber im Stadion sein."