Der "kämpfende Knipser", der "Elfer-Depp", die "Lebensversicherung" – Du hattest schon einige Spitznamen in der Presse in diesem Jahr. Wie wirken solche Schlagzeilen auf Dich?
Vedad Ibisevic: (lacht) "Ich bin mittlerweile so lange dabei, dass ich weiß, dass so etwas sehr schnell geht. Nach dem Wolfsburg-Spiel war ich der absolute Depp. Um die Partie herum habe ich aber in der Europa League dreimal getroffen und war der absolute Held. Es geht vor allem für uns Stürmer schnell und damit muss man klar kommen."
Und Du kommst damit klar?
Vedad Ibisevic: "Mich belastet das nicht. Das ist auch sehr wichtig, weil man seine komplette Konzentration für das Spiel haben muss. Wenn man zu viel nachdenkt, alles aufnimmt und dadurch irritiert wird, erschwert das das eigene Spiel."
18 Tore in 29 VfB Bundesliga-Spielen: Vedad Ibisevic
Nach Deinem Dreierpack gegen Schalke wurdest Du in einem Artikel folgendermaßen beschrieben: "Er ist kein Stürmer, der die Wucht von Mario Gomez hat. Er ist auch kein so begabter Kombinationsspieler wie Miroslav Klose und kein so gewiefter Tempodribbler wie Marco Reus. Er ist kein Kopfballspezialist wie Zlatan Ibrahimovic und kein Sprinter wie Cristiano Ronaldo. Er ist im Zweikampf nicht so geschickt wie Wayne Rooney. Er hat weder die mitreißende Art von Didier Drogba noch die Technik von Lionel Messi. Er hat auch nicht den harten Schuss von Mario Balotelli oder die Raffinesse von Thomas Müller. Ibisevic ist wie Ibisevic." Was sagst Du dazu?
Vedad Ibisevic: (lacht) "Ich habe immer versucht, mir mein eigenes Spiel zu erarbeiten und dieses zu machen. Ich habe immer versucht, unangenehm zu sein und das Maximum aus meinen Möglichkeiten herauszuholen. Ich habe klasse Stürmer beobachtet und versucht, ähnliches zu machen und manches zu kopieren. Und ich habe versucht, mich weiterzuentwickeln, egal wo ich war. Das ist nun halt dabei rausgekommen."
Du sagst, Du versuchst unangenehm zu sein. Was meinst Du damit?
Vedad Ibisevic: "Ich versuche mich so zu verhalten, dass es der Verteidiger im Zweikampf – ob in der Luft oder am Boden – nicht einfach hat. Ich versuche, vor ihm an den Ball zu kommen und außerhalb seines Blickfeldes zu bleiben, damit er nicht weiß, wo ich bin. In der Arbeit gegen den Ball versuche ich, immer dran zu sein und die Gegner unter Druck zu setzen, weil das die meisten Verteidiger nicht gewohnt sind."
18 Treffer in 29 Liga-Spielen für den VfB, das macht eine Quote von 0,6 Toren pro Partie. Damit kannst Du sicherlich zufrieden sein. Wo siehst Du denn aber selbst noch Verbesserungsbedarf?
Vedad Ibisevic: "Ich bin der Meinung, dass man sich immer verbessern kann. Ich möchte alles verbessern – das Kopfballspiel, die Vorlagen, das Kombinationsspiel, das Zweikampfverhalten, meinen linken Fuß, und so weiter."
Jari Litmanen war beidfüßig. Ihm hast Du neben Patrick Kluivert nachgeeifert. Das sind jetzt nicht unbedingt die klassischen Vorbilder für junge Spieler. Was macht diese beiden für Dich nachahmenswert?
Vedad Ibisevic: "Der Punkt ist, dass ich 1995 das Champions-League-Finale gesehen habe, das Ajax Amsterdam mit 1:0 gegen den AC Mailand gewonnen hat. Meine Kumpels und die meisten Kinder, die damals in der Straße waren, sind alle Mailand-, Dortmund- oder Juve-Fans gewesen. Ich fand Ajax gut, weil dort immer junge Spieler ausgebildet und dann an große Vereine verkauft wurden. Das fand ich cool. Und die Stars dort waren damals eben Litmanen und Kluivert."
Vedo zu seiner Art zu spielen
"Ich habe immer versucht, mir mein eigenes Spiel zu erarbeiten und dieses zu machen.
Ich habe immer versucht, unangenehm zu sein und das Maximum aus meinen Möglichkeiten herauszuholen.
Ich habe klasse Stürmer beobachtet und versucht, ähnliches zu machen und manches von ihnen zu kopieren.
Und ich habe versucht, mich weiterzuentwickeln, egal wo ich war.
Das ist nun halt dabei rausgekommen."
Zu dieser Zeit hast Du in Bosnien vor Eurer Flucht vor dem Krieg oft auf dem Bolzplatz gekickt. "Wir haben mit kaputten Schuhen gespielt. Wenn es kalt war und Schnee gab, haben wir Plastiktüten über die Schuhe gezogen", hast Du darüber mal gesagt. Wie meisterst Du den Spagat zwischen dem früheren Kriegsopfer und dem heutigen Fußballprofi?
Vedad Ibisevic: "Ich versuche immer alles in positive Energie zu kanalisieren. Diese Sachen habe ich selbst erlebt, selbst gespürt. Daher weiß ich das, was danach gekommen ist, die Karriere zum Beispiel, mehr zu schätzen. Obwohl ich vieles haben kann, übertreibe ich nicht, versuche auf dem Boden zu bleiben und meiner Familie oder den Leuten, die bisher vielleicht weniger Glück hatten, zu helfen. Das macht mir auch sehr viel Spaß. Genauso gefällt es mir, jungen Leuten zu erklären, was im Leben alles möglich ist."
Fühlst Du Dich auch verpflichtet, Deiner Heimat oder generell Benachteiligten zu helfen?
Vedad Ibisevic: "Auf jeden Fall. Ich wurde so erzogen, dass ich verpflichtet bin und so fühle ich mich auch. Aber es geht dabei nicht nur um Geld, auch wenn das ebenfalls wichtig ist. Für mich als kleiner Junge war aber ein guter Tipp oder ein guter Rat eine viel größere Hilfe."
Kommen wir zu den anstehenden sportlichen Aufgaben: Hinrunden-Abschluss in Mainz und Pokal-Achtelfinale gegen Köln. Ihr könnt die erste Saisonhälfte nach dem durchwachsenen Start noch krönen. Warum schafft ihr das auch?
Vedad Ibisevic: "Weil wir jetzt zum ersten Mal seit langer Zeit kein Spiel unter der Woche haben. Ich hoffe, dass wir daher Kraft tanken. Schließlich haben wir gegen Schalke wieder gesehen, was möglich ist, wenn wir an die Grenze gehen, wenn wir alles raushauen. Das ist das gleiche Rezept für Mainz und für Köln. Jetzt geht es aber erst einmal nur um die Bundesliga und das wird schwierig in Mainz. Aber wenn wir unser maximales Leistungsniveau abrufen, dann sind auch wir sehr schwer zu schlagen."
Du sagst es gerade selbst: für Dich als Nationalspieler ist die aktuelle die erste Nicht-englische Woche seit dem Saisonbeginn. Fast schon komisch. Hast Du Deinen Koffer denn aus Versehen trotzdem gepackt?
Vedad Ibisevic: (lacht) "Nein. Der Koffer ist ohnehin immer bereit und ist mittlerweile das Lieblingsspielzeug von meinem Sohn. Es ist zwar ein harter Rhythmus, aber jede Woche zu spielen ist auch etwas, wovon jeder Fußballer träumt und das Spaß macht. Es ist schwierig, aber es ist machbar. Man muss sich gut organisieren, genug schlafen, gute Behandlungen bekommen. Das schaffen ja auch andere Profis, die beispielsweise bei Bayern oder Barca spielen und noch mehr Partien haben."
Du hast nun Deine vierte Partie in Mainz. Bislang hast Du dort noch nie getroffen. Was ist da los?
Vedad Ibisevic: "Keine Ahnung. Aber in diesem neuen Stadion habe ich ja noch nie gespielt. (lacht) Von daher kann das schon mal ein gutes Zeichen sein. Klar will ich immer und überall treffen, aber es geht um die Mannschaft und wir wollen dort vor allem ein gutes Spiel machen."
Was solltet ihr tun, um das in die Tat umzusetzen und in Mainz zu bestehen? Immerhin hat der Klub nur zwei Punkte weniger als ihr.
Vedad Ibisevic: "Wir sollten unser ganzes Engagement einbringen. Außerdem werden uns die Trainer gut auf den Gegner einstellen und dann bin ich mir sicher, dass es was wird."
Du sprichst gerade die Vorgaben und Informationen der Trainer an. Bringt man bei so vielen Gegnern und Spielen nicht mal etwas durcheinander? Schließlich prallt da ja auch sehr viel auf euch Spieler ein.
Vedad Ibisevic: "Es ist schon viel, aber sobald ein Spiel vorbei ist, schaut man auf das nächste und versucht, sich schnellstmöglich darauf zu konzentrieren. Grundsätzlich ist jedes Spiel für sich zu betrachten, jeder Gegner spielt anders, hat seine Eigenheiten. Man muss auf die nächste Aufgabe fokussiert sein."
Aber ihr kriegt da ja auch Infos, wo beispielsweise die schwache Seite eines Gegenspielers ist. Bei der großen Anzahl an Videoanalysen und der Flut an Informationen kann man das ja durchaus vermischen…
Vedad Ibisevic: "…klar, aber es ist in der Regel schon machbar, dass man die Informationen für das eine Spiel, den einen Gegenspieler, behält. Das ist okay."