Für Tudor Cojocaru ist es der erste Besuch in der Mercedes-Benz Arena. Wenn der Elfjährige mit seinem Papa Eugene, der als rumänischer Schriftsteller und Journalist in Stuttgart sein Geld verdient, am Donnerstag von Gaisburg aus ins Stadion läuft, wird er ein VfB Trikot tragen. "Er ist aber gespalten, für wen er halten soll", sagt der Vizepräsident der Vereinigung der Rumänischen Schriftsteller in Deutschland, der selbst Fußballfan und öfter beim VfB ist.
Ähnlich geht es ihm selbst. Sein "intuitiver" Tipp ist ein 1:1. "Das Spiel ist offen, weil der VfB seine Linie noch nicht gefunden hat, und es bei Steaua derzeit gut läuft." Der Klub ist seit dem vergangenen Wochenende der Tabellenführer in der höchsten rumänischen Spielklasse und außerdem der beliebteste Verein in dem osteuropäischen Land, wie der 46-Jährige sagt.
Kennt Steaua und den VfB: Eugene Cojocaru
Der starke Mann hinter dem Europapokalsieger der Landesmeister aus dem Jahr 1986 ist aktuell George Becali, der es vom Schafhirten ("Ich mag Schafe, sie haben mich großgezogen, und sie haben mich stark gemacht.") zum Multimillionär und Klubbesitzer schaffte, und durch den Steaua Bukarest für rumänische Verhältnisse üppige Gehälter zahlen kann.
"Nicht so verbissen, dafür kunstvoller"
Trotzdem sei der Verein nicht mehr so groß und erfolgreich wie in den 80er-Jahren, sagt Eugene Cojocaru, der seit 1994 in Stuttgart lebt. Das habe mehrere Gründe: der Wettbewerb in Rumänien sei nicht so stark wie der in der Bundesliga, und die Spieler zeigten etwas mehr Selbstzufriedenheit als in Deutschland.
Um das rumänische Fußballspiel zu erklären, vergleicht er es mit der Spielweise des Bukarester Tennisstars Ilie Nastase, der in der 70er-Jahren die Weltrangliste anführte: "Er hat oft verloren, nur weil er der Kunst und dem Publikum mehr Aufmerksamkeit als seinem Tennis geschenkt hat."
Das heißt im Klartext: "Nicht so verbissen, nicht so kämpferisch, aber dafür kunstvoller und lockerer", so seien die romanischen Völker, und in etwa so übten sie auch ihren Sport aus. Eugene Cojocaru schrieb über das Thema einen Artikel, basierend auf der Frage: Warum erreichen rumänische Teams nicht so oft ein Finale? Der Sport beziehungsweise der Fußball dienten als Pars pro toto, als Teil, der das Ganze erklärt.
Sein Ergebnis: "Der Fokus liegt mehr auf der Fantasie, dem Kunstvollen, als auf der Gewinnmaximierung und der Ergebnisorientierung." Vielleicht gilt das ja auch für den VfB Gegner im ersten Gruppenspiel der Europa League, bei dem als Trainer derzeit der ehemalige Bundesliga-Spieler Laurentiu Reghecampf beschäftigt ist.
Klub der Armee
Steaua Bukarest ist der Klub der Armee, er wurde stets gut finanziert und unterstützt, erklärt Eugene Cojocaru: "Steaua bedeutete auch Anlegen gegen das Regime." Denn es herrschte ein Konkurrenzkampf zwischen dem Militär und dem rumänischen Geheimdienst Securitate, der Dynamo subventionierte. Heute strömen Personen aus allen Bevölkerungsschichten und mit alle Gesinnungen ins Steaua-Stadion. "Sie sind gemischt, kommen mittlerweile aber vor allem aus Bukarest", sagt der Schriftsteller. Schließlich seien viele Clubs in Rumänien stärker geworden, weil sie eine große Unterstützung der lokalen Wirtschaft erfahren.
Im Rückspiel können sich die mitreisenden VfB Fans selbst einen Eindruck von den Steaua-Anhängern machen. Der rumänische Journalist weiß indes viel Positives über Bukarest zu berichten: "Viele Kneipen, viel Musik, viel Nachtleben, viel einzukaufen, und viele schöne Mädchen." Nun steht aber das Hinspiel an, und da werden ebenfalls einige Rumänen in die Mercedes-Benz Arena kommen – auch aus Stuttgart. Schließlich sei es für diese ein "besonderes Spiel", sagt Eugene Cojocaru. Und für seinen Sohn Tudor das erste obendrein.