In der vergangenen Woche besuchte zum ersten Mal eine offizielle VfB Delegation um Vorstand Jochen Röttgermann und Präsidiumsmitglied Thomas Hitzlsperger die chinesische Wirtschaftsmetropole Guangzhou. Mit Blick auf die geschlossene Kooperation mit dem dort ansässigen Proficlub Guangzhou R&F und auch die generellen Internationalisierungsbestrebungen in weiß und rot ist diese Reise ein erster wichtiger Schritt. Im Gespräch mit vfb.de blickt Jochen Röttgermann zurück auf die Tage im Reich der Mitte und auch voraus auf die nächsten Wegmarken.
Herr Röttgermann, bevor wir über Ihre Reiseeindrücke sprechen: Wissen Sie noch, wo Sie am Abend des 9. Novembers 1989 waren?
"Ich habe damals noch studiert. Entsprechend war ich leider weder in Berlin und habe dort den historischen Fall der Mauer live miterlebt, noch war ich damals im Neckarstadion beim sensationellen DFB-Pokal-Achtelfinalsieg gegen den FC Bayern München."
Aber ohne den Pokalerfolg gegen den FC Bayern München wäre die China-Reise des VfB in der letzten Woche um einen entscheidenden Programmpunkt ärmer gewesen, oder?
"Das stimmt, ohne diesen Sieg am Tag des Mauerfalls wäre der VfB Stuttgart nicht als Ehrengast bei den Feierlichkeiten des Deutschen Generalkonsulats im chinesischen Guangzhou eingeladen worden. Dafür möchte ich mich im Namen des Vereins auch noch einmal ganz herzlich bei Generalkonsul Martin Fleischer bedanken! Es war ein tolles Event, auf dem wir viele neue Kontakte zu deutschen und internationalen Unternehmen knüpfen konnten. Zudem ist es schon etwas ganz Besonderes für unseren Verein, wenn wir uns im Ausland als Botschafter des deutschen Fußballs präsentieren dürfen."
Hätte es diese Einladung denn auch gegeben, wenn der VfB nicht vor einiger Zeit damit begonnen hätte, die Fühler nach China und in andere Länder auszustrecken?
"Das müsste man jetzt eigentlich das Generalkonsulat fragen, aber diese Einladung ist sicherlich ein erstes Positivergebnis unserer Internationalisierungsbestrebungen in Richtung China. Die Art und Weise, wie wir als VfB im Ausland auftreten, scheint anzukommen. Die Leute registrieren offenbar, dass mit dem VfB Stuttgart ein Proficlub aus Europa in ihr Land kommt, der vor allem an Nachhaltigkeit in den Beziehungen interessiert ist und etwas aufbauen möchte, wovon im Erfolgsfall alle Seiten profitieren."
Sie haben es gerade kurz angerissen: Inwieweit unterscheidet sich der Weg des VfB womöglich von jenem der Mitbewerber auf dem chinesischen Fußballmarkt?
"Ohne jetzt zu sehr ausholen zu wollen: Der VfB Stuttgart ist ein Club mit klaren Werten, die unser Handeln und unsere Arbeit prägen. Wir sind uns bewusst, dass gerade wir als Traditionsverein besonders in der Pflicht sind, all das, was den VfB und den deutschen Fußball einzigartig auf der Welt macht, zu bewahren und zu stärken – und das geht einfach nicht, wenn man nur schnelles Geld verdienen will."
Aber welche anderen Interessen kann es für einen Verein wie den VfB in China noch geben?
"Es geht uns zunächst einmal darum, überhaupt in China Fuß zu fassen, ein Netzwerk aufzubauen und als deutscher Fußballclub öffentlich wahrgenommen zu werden. Der VfB ist in Deutschland in 125 Jahren geworden, was er heute ist – da kann man nicht davon ausgehen, dass uns das in einem anderen Land, in einem anderen Kulturkreis von jetzt auf gleich genauso gelingt, vielmehr ist Bescheidenheit gefragt. Wir haben in Guangzhou die erste Kooperation des VfB mit einem chinesischen Erstligisten abgeschlossen. Auch diese Entscheidung haben wir nicht von heute auf morgen getroffen, sondern stehen mit Guangzhou R&F schon seit Ende letzten Jahres in einem guten Austausch."
Warum fiel die Wahl gerade auf diesen Club?
"Die Clubverantwortlichen von R&F waren auf der Suche nach einem Partnerclub in Deutschland, haben im Rahmen einer Deutschlandtour mehrere Bundesligisten besucht und sozusagen auf Herz und Nieren geprüft. Mit dem Ergebnis, dass sie gerne mit uns kooperieren möchten. Wir haben daraufhin die Verantwortlichen gefragt, welche Erwartungen sie an eine Zusammenarbeit haben, was sie sich vom VfB wünschen und was sie brauchen. Danach haben wir gesagt, wie wir uns eine Kooperation vorstellen können, und dann auf einem weißen Blatt zusammen begonnen, diese Kooperation zu skizzieren. In den vergangenen Monaten wurde es immer konkreter – so konkret, dass wir uns jetzt über eine Zusammenarbeit einig geworden sind."
Welche konkreten Inhalte beinhaltet die Kooperation mit R&F Guangzhou?
"Die Zusammenarbeit mit Guangzhou R&F ist zunächst einmal auf fünf Jahre angelegt und soll unseren neuen Partnerclub speziell auf den Feldern Sportentwicklung, Sportorganisation und Vertrieb weiterbringen. Demgegenüber wollen wir vom großen Netzwerk des Clubs in China profitieren, lernen durch R&F die Besonderheiten des chinesischen Fußballmarktes kennen und werden uns bei vielen ihrer Clubaktivitäten als Kooperationspartner präsentieren. Das sind große Mehrwerte für den VfB, die für uns auch wichtiger waren als die kurzfristige Generierung von Einnahmen."
Das heißt, es fließt kein Geld an den VfB Stuttgart?
"Man könnte jetzt meinen, es wäre ein schlechter Deal von uns, aber es ist richtig: Weder R&F, noch wir bezahlen im ersten Schritt Geld für diese Kooperation. Vielmehr wollen wir gemeinsam Dinge entwickeln, von denen beide Clubs perspektivisch in China, Deutschland und auch weiteren Ländern dann wirtschaftlich profitieren können. Jeder investiert sein Knowhow in diese Partnerschaft."
Welche Eindrücke haben Sie in Guangzhou von Land und Leuten gewonnen?
"Für mich persönlich war es die erste Reise nach China überhaupt und entsprechend war ich sehr gespannt auf dieses Land. Thomas Hitzlsperger und unser Leiter Internationalisierung, Heiko Stroh, haben mich begleitet. Heiko Stroh ist regelmäßig in China vor Ort, auch Thomas war bereits im Land. Wir wurden sehr freundlich empfangen und wir haben viele Einblicke in den Club erhalten. Guangzhou ist ein Wirtschaftszentrum, in dem das Leben praktisch rund um die Uhr pulsiert – es war schon sehr beeindruckend zu sehen, welches Tempo dort bei praktisch allen Dingen an den Tag gelegt wird. Gleichwohl nimmt man auch wahr, dass China ein Land der Kontraste ist und man Dinge auch kritisch hinterfragen muss – mit dem notwendigen Respekt gegenüber den Menschen. Ob in Deutschland oder China – überall, wo VfB draufsteht, muss 100 Prozent VfB drin sein. Wir haben mit den Verantwortlichen von R&F Partner gefunden, die unseren Ansatz teilen. Das passt perfekt."
Wird auch die Profimannschaft bald Spiele in China austragen oder dort Trainingslager absolvieren?
"Auch darüber haben wir natürlich mit R&F gesprochen und uns darauf verständigt, dass wir zunächst gegenseitige Besuche von Mitarbeitern und von Jugendmannschaften etablieren wollen. Perspektivisch streben wir aber auch Spiele der Profimannschaften gegeneinander in China und Deutschland an. Dazu werden wir aber in dieser Saison noch nicht kommen. Generell kann man solche Dinge auch nicht pauschal regeln. Es muss von Fall zu Fall bewertet werden, was zu welchem Zeitpunkt wirklich Sinn macht und welche Vor- und Nachteile solche weiten Reisen mit sich bringen. Für den VfB wäre nichts gewonnen, wenn wir aufgrund einer Fernostreise auf Freundschaftsspiele in unserer Region verzichten müssten oder unsere sportliche Performance in der Liga wegen Reisestrapazen leiden würde. Aber wie gesagt, soweit sind wir bei diesem Thema noch lange nicht."