Hallo Bernd, am Jahresende ist es an der Zeit zu reflektieren. Wenn wir auf die Monate von Deinem Jubelsprung bei der Wahl zum VfB Präsidenten Mitte des Jahres bis heute zurückblicken, wie fällt Dein Fazit dann aus?
Bernd Wahler: "Aufregend, spannend, aber auch sehr konstruktiv. Ich denke, es war eine intensive Phase, in der ich zunächst einmal viele Leute und den VfB kennengelernt habe, um dann auch tiefer einzusteigen und genau zu analysieren, wo wir stehen. Ich denke, wir wissen heute, wo wir stehen – und daraus abgeleitet – wo wir hin wollen. Wir haben gute Ideen, wie wir dort hinkommen."
Bei diesem Prozess haben vor allem die vergangenen Tage mit der Klausurtagung im Tannheimer Tal eine wichtige Rolle gespielt. Welche Ergebnisse kannst Du uns mitteilen?
Bernd Wahler: "Ich finde, es war eine richtig gute Tagung. Wir sind unheimlich offen und konstruktiv miteinander umgegangen und hatten auch den nötigen Spaß bei einem Fußballtennisturnier..."
…wer hat gewonnen?
Bernd Wahler: (lacht) "Ich hatte den richtigen Partner mit Fredi Bobic. Wie so oft im Leben helfen die richtigen Partner. Deswegen hat Fredi gewonnen und mich mitgezogen. Um auf die Tagung zurückzukommen: Da wurde viel Arbeit im Vorfeld erledigt. Hierfür möchte ich mich bei allen bedanken, die geholfen haben, diese Tagung richtig vorzubereiten. Die Arbeit war kreativ und konstruktiv. Nun kommt natürlich richtig viel neue Arbeit auf uns zu. Wir waren uns einig, dass es bestimmte Themen gibt, die wir intensiv angehen müssen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Tabellenstand nicht lügt. Dass wir dort stehen, wo wir gerade stehen, hat sportliche Gründe, aber auch Ursachen darüber hinaus. Ich denke, wir stehen auch in anderen Bereichen im Tabellenmittelfeld. Egal, ob es beispielsweise um das Marketing, das Merchandising, die Finanzierung oder Verwaltung geht. In jedem Bereich ist das so. Es ist ein Zustand, mit dem wir nicht zufrieden sind. Zudem ist es wichtig, dass alle Beteiligten sagen, dass sie damit nicht zufrieden sind. Daraus entsteht die Energie, zu sagen: ‚Wir wollen etwas verändern.‘ Das habe ich auch massiv gespürt, und das hat mich gefreut. Wir haben bei der Tagung viel Zeit darauf verwendet, was wir ändern und wo wir hin wollen."
Bernd Wahler bei der Wahl zum Präsidenten
Wofür steht der VfB derzeit, und wofür will der Verein künftig stehen?
Bernd Wahler: "Wir haben uns intensiv darüber unterhalten, was die Fehler waren, die in der Vergangenheit gemacht wurden, ohne ins Persönliche zu gehen. Vielmehr wollen wir daraus lernen, was wir künftig anders machen müssen. Das war ein wesentlicher Punkt. Das Sportliche steht im Mittelpunkt. Es ist nicht so, dass der sportliche Bereich erst einmal Vorgaben – beispielsweise von der Finanzabteilung – bekommt. Wichtig ist, dass wir eine mittel- und langfristige Planung machen und diese vom sportlichen Bereich ausgeht. Da sagen wir heute ganz klar: 'Die Situation, in der wir uns befinden, ist nicht befriedigend.' Wir wollen uns weiterentwickeln und dabei setzen wir eindeutig auf die Jugend. Nun kann man sagen, dass dies nichts Neues sei. Ich denke, der Unterschied zur Vergangenheit ist aber, dass wir sagen: ‚Wir machen das nicht, weil wir es müssen, sondern weil wir es wollen.‘ Die Jugend ist ein Bereich, in dem wir heute schon zu den Besten gehören. Eine Stärke noch stärker zu machen, ist meist erfolgversprechender, als eine Schwäche nochmal drei Jahre zu analysieren und daran rumzuflicken. Hier gibt es ein klares Bekenntnis aus allen Bereichen, dass die Jugend ein Trumpf des VfB ist, den wir weiterhin stärken wollen. Das ist eine ganz wesentliche Komponente. Damit verbinden wir eine Diskussion: Folgt der Kader der Spielphilosophie oder umgekehrt? Hier haben wir ganz klar entschieden, dass die Spielphilosophie das Wichtigste ist. Sie ist auch Personen übergeordnet. Der Kader orientiert sich also an der Philosophie – und wir sind noch einen Schritt weitergegangen. Die Philosophie, offensiv, schnell und mutig zu spielen sowie schnell umzuschalten, also alles, was Thomas Schneider verkörpert, hat Auswirkungen auf alle Unternehmensbereiche. Das heißt, wir wollen in allem, was wir machen, diese Spielphilosophie verkörpern. Damit wird es zu einer Leistungskultur beim VfB kommen, an der wir Spaß haben und an der wir uns auch messen lassen wollen."
Wenn der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Speziellen künftig im Mittelpunkt stehen sollen, hattest Du wohl den Eindruck, dass dies in der Vergangenheit nicht der Fall war.
Bernd Wahler: "Ich hatte schon den Eindruck, dass die Vorgabe zunächst lautete, eine schwarze Null vorzuweisen. Klar, wollen wir auch künftig schwäbisch sparsam wirtschaften, aber auch mit etwas mehr Risiko – ausgehend vom Sport – handeln. Der Rest funktioniert mehr oder weniger als Service für den Sport. Ich hatte schon den Eindruck, dass der Sport seine eigene Welt war, zu der es Berührungsängste gab. Die Öffnung und die Bereitschaft, alle Unternehmensbereiche in diese einzubinden, die ich in diesem Punkt nun gespürt habe, ist genau das, was ich damit meine, den Sport ins Zentrum zu stellen."
Das Bekenntnis zur Jugend gab es schon einmal. Der wichtigste Punkt bei diesem Thema dürften die Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit sein. Gibt es schon konkrete Ideen, dies zu schaffen?
Bernd Wahler: "Es gibt bereits Beispiele dafür. Das erste Beispiel war die Verpflichtung von Thomas Schneider als Trainer. Das war kein Zufall. Es gab damals Gespräche mit dem Sportvorstand Fredi Bobic, aber auch mit dem Aufsichtsrat, die sich um die Frage drehten, wo wollen wir mittel- beziehungsweise langfristig hin. Hier hatte das Thema Jugend eine große Bedeutung. Jemand, der den VfB kennt, aus dem Jugendbereich kommt, ist die Idealbesetzung. Das hat sich bestätigt. Dahinter stehen wir. Diese Philosophie ist eine Strategie, an der wir langfristig festhalten müssen. Da haben wir in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht. Wenn man einmal mit einer eigenen Generation erfolgreich war, dann hat man das Geld nicht in die nächste Generation investiert, sondern in Transfers, die in dieser Strategie eigentlich keinen Platz hatten. Da gibt es ein klares Bekenntnis aus allen Bereichen, dies künftig nicht mehr zu tun. Die Jugend ist ein ganz wichtiger Eckpfeiler."
Ist die Tatsache, dass fünf Nachwuchsspieler mit ins Trainingslager nach Südafrika reisen, ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Jugend?
Bernd Wahler: "Das ist eine Konsequenz aus der Strategie, die wir besprochen haben. Das ist hart für vier andere Spieler (Torun, Molinaro. Röcker, Funk, Anm. der Red.), die deswegen nicht mitfahren. Ich denke aber, dass wir damit offen und ehrlich umgegangen sind, dass der Trainer für diese Spieler keine sportliche Perspektive sieht. Deshalb macht man den Weg frei, gibt den vier Spielern die Möglichkeit, sich anderweitig zu orientieren und den jungen Spielern (Leibold, Yalcin, Ferati, Baumgartl, Wanitzek, Anm.d.Red.) die Chance, sich im Umfeld der Bundesligamannschaft zu beweisen und weiterzuentwickeln."
Klar ist, dass die Jugend ein zentraler Punkt ist, was das Thema Marke angeht. Welche wichtigen Punkte gibt es beim Thema Markenbildung noch?
Bernd Wahler: "Ein weiterer Eckpfeiler ist unsere Tradition. Das unterscheidet uns von anderen Vereinen. Unsere Tradition macht uns authentisch. Wir wollen sie aber nicht verstaubt aus dem Keller holen. Wir wollen sie mit modernen Komponenten versehen – auch das Spannungsfeld Jugend und Tradition beschreiten. Die Gruppe, die sich mit dem Thema Markenbildung beschäftigt, arbeitet massiv daran, wie wir dieses Thema frisch und lebendig umsetzen können. Wir wollen ein Verein zum Anfassen sein. Das ist eine wichtige Säule. Eine weitere wichtige Komponente ist, den Service auf ein neues Level zu bringen. Hier kann ich mit Stolz sagen, dass wir der erste Verein sein werden, der ab der kommenden Saison allen unseren Zuschauern ermöglicht, so zu bezahlen, wie sie das wollen. Egal, ob mit ec- oder Kreditkarte oder auch in bar. Wir wollen das Bezahlsystem so flexibel wie möglich machen."
Welche Hoffnungen kannst Du den Fans auf eine gute Rückrunde geben, wie sehen die konkreten Ziele aus?
Bernd Wahler: "Wir wollen unseren Weg fortsetzen. Das heißt, junge Spieler an die Bundesliga-Mannschaft heranzuführen und in das vorhandene stabile Korsett eingliedern. Wir werden uns aber nicht daran messen lassen, dass unsere Mannschaft pro Spiel um 0,5 Jahre jünger ist, also immer sinkt. Wir lassen uns an Ergebnissen messen. Wir sind in einer Umbruchphase. Ich denke, die Perspektive Europa League-Plätze haben wir noch nicht aus den Augen verloren, realistisch ist aber ein einstelliger Tabellenplatz. Wir wollen in der Entwicklung der Mannschaft vorankommen."
Als Du begonnen hast, hast Du die Zielsetzung auch mit der Vision verbunden, in drei bis fünf Jahren wieder an die großen Geldtöpfe zu kommen, sprich an der Champions League teilzunehmen. Wie schätzt Du dieses Ziel aktuell ein?
Bernd Wahler: "Ich würde dieses Ziel nach wie vor ausgeben. Fünf Jahre sind derzeit realistischer als drei Jahre. Aber mittelfristig muss die Königsklasse unser Ziel sein. Dies wollen wir aus innerer Kraft erreichen. Das heißt nicht, dass wir keine Spieler zukaufen wollen. Hier sind wir derzeit in der Analyse, welche Spieler aus dem Nachwuchs für welche Mannschaftsteile in Frage kommen und wo wir eine Verstärkung brauchen. Die Kriterien für Neuzugänge wurden über das rein Spielerische ergänzt, im Sinne von Charakter und Mentalität. Wir wollen Spieler finden, die den Jungen helfen, sich weiterzuentwickeln und die auch Spaß daran haben, dies zu machen."
Hat klare Vorstellungen: Präsident Bernd Wahler
Du hast vorhin zu Recht gesagt, dass die Tabelle nicht lügt. Sie lügt auch nicht in Bezug auf die finanziellen Möglichkeiten der Vereine. Vorne sind mit einigen wenigen Ausnahmen wie Hertha und Augsburg oder Freiburg und Frankfurt in der vergangenen Saison Klubs, die durch die regelmäßige Teilnahme an der Champions League finanziell entrückt sind. Welche Pläne gibt es, um die Lücke zwischen diesen Vereinen und den Klubs, die dahinter kommen – wie der VfB – zu schließen beziehungsweise zu minimieren?
Bernd Wahler: "Ein langfristiger sportlicher Erfolg setzt wirtschaftlichen Erfolg und Wachstum voraus. Das Interessante sind dabei die Einnahmen, die mit der Champions League verbunden sind. Insofern ist es wichtig, dass man diese Perspektive nicht aus den Augen verliert. Wichtig ist in dieser Hinsicht eine Positionierung der Marke VfB Stuttgart und diese zu leben. In den Gesprächen mit unseren heutigen Partnern und möglichen zukünftigen hat sich herausgestellt, dass dies ein Bild ist, mit dem sie sich identifizieren können. Mit Hilfe dieser Partner können wir an mehr Geld kommen, damit wir sukzessive größere sportliche Erfolge haben und auch wieder an die Champions League-Plätze herankommen. Das ist eine große Herausforderung, aber wir haben die Möglichkeiten, die Lücke zu schließen. Weiterhin eine gute Jugendarbeit zu leisten ist beispielsweise ein Eckpfeiler dafür. Klar ist auch, dass Transfererlöse eine Rolle spielen, aber unser Anliegen ist es natürlich, dass wir die besten Spieler halten und mit ihnen die sportlichen Erfolge erreichen. Aber nicht alle, die wir in der Jugend ausbilden, werden bei uns spielen können – und diese könnten dann Transfereinnahmen generieren, die für uns wichtig sind."
Sponsorenakquise und Transfererlöse sind zwei Felder, ein drittes könnte die Organisationsstruktur des VfB sein. Es entsteht der Eindruck, dass die Meinung vorherrscht, dass mit einer Ausgliederung der Profiabteilung automatisch Mehreinnahmen entstehen. Ist das so?
Bernd Wahler: "Eine mögliche Ausgliederung kann zusätzliche finanzielle Quellen erschließen, diesbezüglich besteht allerdings keine Garantie. Wir sind ein Traditionsverein, der mehr als 120 Jahre alt ist. Diese Struktur zu verändern bedarf daher einer kritischen Prüfung. Das machen wir gerade und schauen uns die Optionen ganz genau an. Eine andere Möglichkeit wäre es, in bestehenden Strukturen anders zu denken, anders zu handeln. Wir haben einen Profibereich, der wie ein Unternehmen denkt und auch so geführt werden muss. Daneben steht ein gesunder Verein, und hier wäre eine Trennung der Denkweise auch heute schon machbar und würde wahrscheinlich beiden Bereichen zugutekommen. Eine 'professionellere' Arbeit kann durch eine Ausgliederung stattfinden, sie kann aber auch ohne diese stattfinden. Wir werden versuchen, besser und professioneller zu arbeiten – und zwar ab sofort – und nicht wegen dieser Thematik warten. Sie wird ohnehin nicht bis zu nächsten Mitgliederversammlung machbar sein. Wir treiben das Thema weiter voran, aber es wird uns nicht davon abhalten, auch jetzt schon andere Veränderungen vorzunehmen."
Du und der VfB stehen also vor einem großen Berg Arbeit. Wie gehst Du diesen an?
Bernd Wahler: "Ich habe jedenfalls keine Angst, weil alle Gespräche – speziell intern – haben mir gezeigt, dass ein Team vorhanden ist, das etwas verändern will, das verstanden hat, dass wir nicht einfach so weitermachen können. Ich sehe mich als Veränderer sowie als Verbesserer und habe Spaß daran. Ich wusste schon, bevor ich herkam, dass wir ein paar Dinge angehen sollten. Jetzt sind es noch ein paar mehr, aber ich würde den Schritt zum VfB Präsidenten jeden Tag wieder machen und freue mich auf die anstehenden Aufgaben."
Davor steht nun aber erst einmal das Weihnachtsfest an. Sind die Feiertage für Dich nach den Anfangsmonaten beim VfB auch eine Zeit der Erholung, um danach wieder mit vollem Elan in die Arbeit einzusteigen?
Bernd Wahler: "Ich freue mich riesig auf Weihnachten, werde das Fest im Kreis der Familie mit vier Generationen feiern – und wahrscheinlich zu viel essen. (lacht) Dann will ich aber auch wieder mehr Sport machen und auch den anschließenden Skiurlaub genießen, um mit Energie ins Trainingslager nach Südafrika zu gehen. Ich habe noch tolle Erinnerungen an die Zeit vor und während der WM 2010. Ich freue mich wahnsinnig darauf, dort nun mit dem VfB hinzugehen."
Weihnachten ist ja auch die Zeit der Wünsche. Was ist Dein Wunsch als VfB Präsident für das Jahr 2014?
Bernd Wahler: "Dass wir uns sportlich weiterentwickeln und einen einstelligen Tabellenplatz erreichen und auch, dass unser Umfeld, unsre Fans, unsere Mitglieder und Partner sowie die Region unsere Ideen mitträgt und sagt: 'Jawohl, das passt zum VfB, und wir stehen da dahinter, unterstützen das und sind dabei.'"
Zum Abschluss bietet sich das nahende Jahresende auch an, ein Grußwort an die VfB Fans zu richten. Wie lautet Deines?
Bernd Wahler: "Vielen Dank für die Unterstützung in einem schwierigen Jahr 2013. Ich wünsche allen VfB Anhängern, Fans und auch Gegnern frohe Weihnachten. Wir bauen auf euch, und wir brauchen euch im neuen Jahr und auch danach."