Hallo Herr Lösel, Sie haben jüngst im Schwäbischen Tagblatt in einer Kolumne über das schwierige Leben eines HSV-Fans geschrieben. Warum ist das Fiebern mit der Raute so herausfordernd?
Hansjörg Lösel: "Die 26 Jahre ohne irgendeinen Titel sind mittlerweile schon heftig. Und wenn der HSV mal etwas in Aussicht hat, dann stehen sicherlich Bremen oder eine Papierkugel im Weg. Der Anspruch und die Wirklichkeit klaffen einfach zu weit auseinander. Das ist bei anderen Klubs zwar auch so, aber bei uns fast rekordverdächtig. In meiner Generation, ich bin Jahrgang 1975, sind auch hier in Tübingen viele HSV Fans. Das rührt aus der Phase mit Kevin Keegan, Uli Stein, Felix Magath, Manfred Kalz, Horst Hrubesch, Jimmy Hartwig, und so weiter. Ein Erfolg jagte damals den nächsten, das hat man fast en passant registriert, als wäre es gar nichts Besonderes. Ich weiß noch genau, wie der HSV 1984 am vorletzten Spieltag zu blöd war und die Meisterschaft verspielte. Im letzten Spiel hat Hamburg dann zwar noch 1:0 beim VfB gewonnen, aber der Sieg hätte viel höher ausfallen müssen – und so hat Stuttgart aufgrund der besseren Tordifferenz den Titel geholt. Ich war ein kleiner Bub und es war sonnenklar, dass der HSV dann halt im nächsten Jahr wieder Meister wird. Das war ein bisschen so wie beim FC Bayern heutzutage. Aber von da an folgten das tiefe Tal der Tränen und das Chaos beim HSV."
Die Herausforderungen eines Fans: Hansjörg Lösel
Viele Fußballfans können bei der Lektüre Ihres Textes sicher mitfühlen, nicht nur in Bezug auf die Herausforderungen des eigenen Klubs, sondern weil Sie von einem einschneidenden Erlebnis mit ihrem Sohn erzählen. Der bekam mit der Geburt HSV-Schnuller, HSV-Body, et cetera – und dann träumt er plötzlich vom FC Bayern?
Hansjörg Lösel: (lacht) "Im Nachhinein betrachtet habe ich Fehler gemacht. Wenn er das Wort 'Bayern' gesagt hat, dann habe ich ihm immer gesagt: 'Nein, nicht.' Das hat ihm aber gefallen und dann hat er erst recht 'Bayern' gesagt. Ich bin etwas blauäugig an die Sache herangegangen. Als er dann auch noch vom FC Bayern geträumt hat, habe ich es akzeptiert."
Wie verkraften Sie das?
Hansjörg Lösel: "Bayern ist schon die Höchststrafe, das ist bitter. Aber bei meinem zweiten Sohn, der langsam in die Phase kommt, werde ich die Erfahrung einbringen. Ich habe schließlich gelernt, dass man das unauffällig in die richtige Bahn lenken sollte. Bei ihm habe ich allerdings das Problem, dass meine Frau ihn zum VfB bringen will. Aber das wäre auch okay, denn es ist vor allem wichtig, dass es in Zukunft nicht nur noch Bayern- und Dortmund-Fans in Deutschland gibt."
Sie müssen von jetzt an also zwei "Kämpfe" daheim ausfechten, gegen Ihren ersten Sohn und gegen Ihre Frau. Welche Taktik haben Sie sich für die neue Situation zurechtgelegt?
Hansjörg Lösel: (lacht) "Zum Glück bin ich mit einer toleranten Frau verheiratet, das ist demnach nur ein Scheingefecht in Bezug auf den VfB. Außerdem bin ich schon ein wenig altersmilde geworden. Ich für mich denke mir darüber hinaus immer: Ruhe bewahren und stets auf das nächste Jahr hoffen. Das lernt man als HSV-Fan."
Bei Ihrem zweiten Sohn ist ja noch alles offen. Sie sagen, Sie wollen ihn beiläufig überzeugen. Welche Argumente würden fallen, wenn sie ihm erklären, warum er HSV-Fan werden soll?
Hansjörg Lösel: "Da steht man in der Tat ganz schön blank da. Es kann sich aber nur noch um wenige Jahre handeln, bis der Erfolg zurückkehrt. Ein Argument wären die Trikots, die sind meistens einfach die allergeilsten. Rothosen, Raute und charakteristische Stutzen. Die HSV-Trikots haben mich sehr oft gefreut, wenn mir auch die aktuellen nicht gefallen. Und ich würde von der glorreichen Vergangenheit erzählen. Außerdem ist das Stadion schön. Aber in Bezug auf den HSV fällt vor allem die gute alte Zeit. Daher ist es auch schwierig, Nachwuchs zu gewinnen."
Und wie würde Ihre Frau versuchen, den Sohnemann vom VfB zu überzeugen?
Hansjörg Lösel: "Sie hat es da etwas leichter, weil ein schlagendes Argument sicherlich der Stadionbesuch ist. Da war ich als kleiner Junge schon ziemlich naiv, als ich dachte, dass Hamburg bestimmt kurz hinter Stuttgart liegt. Wir sind damals allerdings auch häufiger ins Stadion gegangen, wenn der HSV hier in der Region gespielt hat."
"Ich habe Lesen gelernt anhand der Bundesliga-Tabelle, da war der HSV immer ganz oben", haben Sie in Ihrem Text geschrieben und damit den Beginn ihrer Affinität zum Hamburger Sport-Verein begründet. Nicht unbedingt das Naheliegende, schließlich sind Sie in Tübingen aufgewachsen. Was hat Sie neben dem damaligen Erfolg noch überzeugt?
Hansjörg Lösel: "Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich meinen Eltern dankbar bin, weil sie mich nicht beeinflusst haben. Zum Glück haben sie sich nicht für Fußball interessiert, daher konnte ich mir meinen Klub selbst aussuchen. Ich war damals neben den Erfolgen auch immer von einem Radioreporter fasziniert, Emmerich hieß er, glaube ich (Anm. d. Redaktion Kurt Emmerich vom NDR). Er hat sich immer aus dem Volksparkstadion gemeldet. Und in der Sportschau konnte ich den HSV dann ja sehen. Man wurde außerdem Fan, weil der HSV mal 1:3 beim FC Bayern zurücklag und dann noch 4:3 gewonnen hat."
Beim VfB können nun keine Eintrittskarten mehr für die Partie beim HSV gekauft werden. Vor Ort sind aber noch Tickets erhältlich.
Kommen wir in die Gegenwart. Wie sehen Sie die aktuelle Saison des HSV?
Hansjörg Lösel: "Mit Bert van Marwijk ist dem Klub ein richtig guter Griff geglückt. Er ist ein starker Trainer. Nach wie vor ist die Gesamtsituation aber ein wenig zerfahren, auch aufgrund mancher Einflüsse von außen. Die Mannschaft selbst ist gar nicht so schlecht aufgestellt. Es sind auch junge Kräfte dabei. Da steckt eine Perspektive drin, es muss ja nicht gleich der Meistertitel sein. Wichtig ist dafür aber, dass die Geldverbrennung, die in den vergangen Jahren angesagt war, abgestellt wird. Wen dieser Klub schon alles verpflichtet hat – unglaublich."
Als Tübinger Sportjournalist werfen Sie bestimmt auch einen Blick nach Stuttgart zum VfB. Wie fällt hier Ihre Beurteilung in Bezug auf die bisherige Spielzeit 13/14 aus?
Hansjörg Lösel: "Ich sage den VfB Fans immer: ‚Seid doch zufrieden.‘ Der VfB hat eine Mannschaft, die richtig Spaß macht. Manchmal könnte das Team noch ein wenig stabiler sein, aber da geht schon recht viel. Thomas Schneider lässt nun auch einen etwas anderen Fußball spielen. Da wird die Familie Lösel sicher mal wieder ins Stadion kommen."
Am Sonntag gastiert der VfB aber erst einmal in Hamburg. Welcher Fan wird es dort schwieriger haben, der schwarz-weiß-blaue oder der weiß-rote?
Hansjörg Lösel: "Der HSV gewinnt das Ding. Dort sind gerade alle euphorisch. Für dieses Wochenende spüre ich Oberwasser."
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