Ludovic Magnin, 2007 Meister mit dem VfB, feiert an diesem Samstag seinen 40. Geburtstag. Der VfB wünscht seinem ehemaligen Spieler für das kommende Lebensjahr sowie für seine Trainerkarriere alles Gute.
Anlässlich seines Geburtstags veröffentlichen wir an dieser Stelle eine Geschichte mit dem Schweizer, die Ende 2018 erstmals im Mitgliedermagazin dunkelrot erschienen ist:
Vom Meisterkicker zum Trainerleherling
Die Saison 2018/2019 ist für den VfB eine Jubiläumssaison. Zeit, Legenden vorzustellen, die in den verschiedenen Epochen auf dem Platz zu den bekannten Gesichtern des Vereins mit dem Brustring wurden. Einer von ihnen ist Ludovic Magnin. 2007 gewann er mit dem VfB die Deutsche Meisterschaft. Und auch abseits des Rasens hinterließ der stets zu einem Scherz aufgelegte Abwehrspieler während seinen viereinhalb Jahren beim VfB einen bleibenden Eindruck. Seit Februar 2018 trainiert er den FC Zürich und gewann bei seiner ersten Station als Cheftrainer eines Profiteams gleich mal den ersten Titel. Trotz des Seitenwechsels vom Spieler zum Trainer ist er sich treu geblieben, wie er bei unserem Besuch in der Schweiz zeigt. Ein Besuch, bei dem er einen ernsten Einblick in seinen aktuellen Alltag gibt und diesen mit verschiedenen Anekdoten von früher garniert.
Es ist verdammt zugig an jenem Dienstagmorgen Ende November. Doch wie soll es hier auf dem Trainingsgelände des FC Zürich, am südwestlichen Rand der größten Schweizer Stadt gelegen, auch anders sein? Die altehrwürdige Saalsporthalle sowie das moderne Einkaufs- und Entertainmentcenter Sihlcity begrenzen zwar zu zwei Seiten hin das Sihltal, an dessen Ende sich das Trainingsgelände befindet. Doch zu den anderen Seiten hin erstreckt sich das Tal in einem scheinbar unendlich langen, flachen Park. Der Wind pfeift unaufhörlich, Ludovic Magnin nur zweimal, dafür ganz kräftig. Das öffentliche Mannschaftstraining ist damit beendet – wobei angesichts des Trainingsplatzes auf der Allmend Brunau, an dem die Laufstrecke zahlreicher Hobbysportler sowie der Spazierweg einiger Hundebesitzer vorbeiführt, im Grunde jede Trainingseinheit öffentlich ist. „Wenn du etwas neues Taktisches einstudieren möchtest, ist es natürlich schwierig, es hier geheim zu halten“, sagt Ludovic Magnin, „aber in der Schweiz ist das ohnehin nicht so wie in anderen Ligen. Hier schaut sich so gut wie nie jemand das Training eines anderen Vereins an, um es dann zu analysieren und dadurch taktische Aufschlüsse zu erhalten.“
Während sich der Großteil der Mannschaft auf den Weg in die Kabine begibt, nimmt sich der 62-fache Schweizer Nationalspieler noch Zeit, um mit ein paar Spielern eine kleine Extraschicht einzulegen. Als die ebenfalls beendet ist, schwingt er sich auf ein Fahrrad und radelt die rund 200 Meter rüber zur Saalsporthalle, in deren Katakomben sich das Trainingszentrum des Profiteams befindet. Und deren Foyer Minuten später kurzerhand zum Pressekonferenzraum umgewandelt wird. Nicht einmal eine Handvoll Journalisten sind an diesem Tag gekommen, um mit ihm über das anstehende Spiel zu sprechen. „Normal sind noch von zwei weiteren Zeitungen Journalisten da“, sagt Ludovic Magnin hinterher, „aber mit denen kann ich auch später noch sprechen, wenn sie mich anrufen.“ Es geht eben alles ein bisschen anders zu in der Schweizer Super League. Es ist alles eine Nummer kleiner als in der Bundesliga. Doch genau das ist für Ludovic Magnin die richtige Bühne, um seine ersten Schritte als Cheftrainer im Profifußball zu gehen. „Natürlich gibt es auch hier einen gewissen Druck, aber für einen jungen Trainer wie mich ist das hier ein super Feld, um zu lernen“, verdeutlicht er und fügt dann weitsichtig hinzu: „Ich weiß, dass ich noch viel zu lernen habe – ich sehe mich aktuell als Lehrling im Trainergeschäft.“
"Ich werde mich nicht verstellen"
Dabei verbrachte Ludovic Magnin einst 16 Jahre im Profifußball, allerdings auf der anderen Seite der Außenlinie. An prestigeträchtigen Erfolgen und ruhmreichen Fakten mangelt es in der Spielerkarriere des Verteidigers keineswegs. So absolvierte er für den VfB und Werder Bremen insgesamt 149 Bundesligaspiele sowie 15 Partien in der Champions League und weitere 20 Spiele in anderen internationalen Wettbewerben. 2007 wurde er mit dem VfB Meister, 2004 holte er mit Werder Bremen gar das Double. Er spielte zehn Jahre lang im Schweizer Nationalteam und nahm mit ihm an jeweils zwei Welt- und Europameisterschaften teil. „Es ist keine Voraussetzung für meinen Job, selbst auf hohem Niveau gespielt zu haben – es vergrößert aber mein Repertoire“, sagt er, „Ich weiß exakt, wie es sich als Spieler anfühlt, auf der Tribüne sitzen zu müssen. Ich weiß, was Druck mit einem machen kann. Und ich erlebte einige Krisensituationen. Mir ist noch präsent, wie sich frustrierte Fans wegen schlechter Ergebnisse vor unsere Autos legten und so unsere Heimfahrt verhinderten. Oder wie mich meine Frau anrief, als Fans nach einer Niederlage Eier an unsere Hauswand geworfen hatten.“
Zu diesen Erfahrungen kommen die prägenden Zeiten mit diversen Trainergrößen. Da ist allen voran Lucien Favre, der ihn als 14-Jährigen trainierte, ihm mit 17 die Chance zu den ersten Einsätzen im Profifußball gab und mit dem er noch heute einen innigen Kontakt pflegt. „Ich profitiere von seiner Erfahrung, die ich nicht habe“, sagt er. Da sind seine ehemaligen Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld und Köbi Kuhn, der ihn nie fallen lassen habe, obwohl es auch die Phasen gab, in denen er in der Bundesliga nicht gerade überzeugt habe. Da ist sein erster VfB Trainer Giovanni Trapattoni, von dem er noch heute beeindruckt ist, wie er damals mit den Leuten umging. Oder sein erster Werder-Trainer Thomas Schaaf, von dem er so viel in Sachen Mannschaftsführung gelernt habe. Ein Punkt, den er als den entscheidenden Faktor für eine erfolgreiche Trainerkarriere ansieht. „Das Wichtigste in meinem Beruf ist die Menschenführung“, sagt er, „ich muss den Spielern keine Technik beibringen, das können Profifußballer eh schon. Die größte Herausforderung ist, dass du rund 20 Männer führen und zusammenhalten musst, ohne dass es groß Ärger gibt.“ Sein Rezept dabei: sich mit den Spielern zu unterhalten, die hintenanstehen müssen, um ihnen den Frust zu nehmen. Sich besonders viel Zeit für die jungen Spieler zu nehmen, damit sie den Anschluss bekommen und gefördert werden, weil sie die Zukunft des Vereins sind.
Die älteren Spieler dabei aber nicht vernachlässigen, weil sie „aktuell den Laden zusammenhalten“, wie er es ausdrückt. Und vor allem: so zu sein, wie er ist. „Ich werde mich nicht verstellen, weil ich jetzt Trainer bin – sondern bleibe, wie ich bin. Klar kann ich in der Öffentlichkeit nicht die gleichen Scherze bringen wie früher als junger Spieler. Aber wenn die Türen zu sind, geht bei uns schon was ab“, sagt er, „wenn die Spieler gut arbeiten, haben wir zusammen viel Spaß. Ich habe aber auch schon in den ersten Wochen drei, vier Leader beiseite genommen und ihnen gesagt, dass sie nicht viel spielen werden, wenn sie so trainieren.“
Eine Karriere reich an Anekdoten
Ludovic Magnin scheint auch in seinem neuen Alltag als Profitrainer wieder das Spagat zu meistern, das er schon als Spieler hinbekommen hat. Das Spagat zwischen der gebotenen Ernsthaftigkeit und dem nötigen Engagement auf der einen Seite sowie dem lockeren, fröhlichen Gemüt des blonden Schweizers, der immer für einen Scherz gut ist, auf der anderen Seite. So war er schon immer und so ist er auch heute noch – und das in jeder Situation. Und so gibt er beispielsweise, nachdem er die Mannschaftsführung von Thomas Schaaf seriös analysiert hat, auch gleich eine Anekdote rund um seinen Wechsel von Werder Bremen zum VfB zum Besten, bei der Thomas Schaaf eine Rolle spielt. „Ich war damals am Saisonende ablösefrei und konnte deshalb ab Januar verhandeln. Weil ich aber Angst hatte, dass ich bei Werder die restlichen Monate auf der Bank sitze, wenn meine Wechselabsichten rauskommen würden, bin ich heimlich nach Stuttgart geflogen.
Ich habe mich hier mit zwei Vertretern des VfB in einem Hotel am Flughafen getroffen, dann unter falschem Namen die medizinischen Tests gemacht und bin anschließend wieder zurück nach Bremen. Alles lief streng geheim. Am nächsten Tag hat mich Thomas Schaaf auf einmal in sein Büro zitiert und mich mit ernster Stimme gefragt, was ich denn in Stuttgart gemacht habe. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich in Metzingen zum Shoppen war und ihm von den Hugo-Boss-Hemden vorgeschwärmt“, sagt Ludovic Magnin und beginnt zu lachen, „er hat es geglaubt, obwohl ich noch nie in meinem Leben ein Hugo-Boss-Hemd anhatte.“
Im Laufe des Besuchs unterbricht Ludovic Magnin seine ernsten Ausführungen immer wieder für eine witzige Kurzgeschichte. Er erzählt bekannte Anekdoten wie jene, als seine Teamkollegen und er das Auto vom damaligen VfB Keeper Raphael Schäfer im Internet zum Kauf angeboten und dabei dessen echte Handynummer hinterlegt hatten. „Er hat dann sehr viele Anrufe bekommen“, erinnert sich Ludovic Magnin schmunzelnd. Und er erzählt weniger bekannte Anekdoten wie jene, als er nach seinem Wechsel zum VfB nach Schlierbach im Landkreis Göppingen zog, ihm der Vermieter in epischer Breite und vor allem in breitestem Schwäbisch alles Mögliche zum Haus erzählte und Ludovic Magnin nur brav nickte und bei allem zustimmte. „Als er gegangen war, habe ich erst einmal meine Frau angerufen und ihr gesagt, dass sie sich unbedingt gleich bei ihm melden soll“, schmunzelt der in der französischen Schweiz aufgewachsene Ex-Profi, „er hatte so einen Akzent, dass ich kein einziges Wort verstanden habe. Ich hatte absolut keine Ahnung, was er mir erzählt hat.“
"Die Zeit in Stuttgart war die beste meiner Karriere"
Die anfänglichen Sprachschwierigkeiten erledigten sich nach und nach. Und so sagt er heute voller schöner Erinnerungen: „Die Zeit in Stuttgart war die beste Zeit meiner Karriere. Dort hat alles gepasst. Als ich 2007 mit Marco Streller im Cabrio durch die Stadt gefahren bin und die Fans fast durchgedreht sind, war das der schönste Moment meiner Karriere. Wir hatten überhaupt viel Spaß mit der Mannschaft, sind oft zusammen unterwegs gewesen oder Essen gegangen.“ Doch irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem es ihn wieder in sein Heimatland zog. Trotz lukrativerer Angebote wechselte er zum FC Zürich, damit sie ins nicht allzu weit vom FCZ entfernte Rheintal – der Heimat seiner Frau – ziehen konnten und die Kinder in der Nähe ihrer Großeltern aufwachsen würden. Er unterschrieb einen Vertrag, der eine Klausel beinhaltete, dass er nach dem Ende seiner Spielerkarriere beim FCZ als Jugendtrainer einsteigen konnte.
Im Sommer 2012 war es dann soweit. Seither hat sich Ludovic Magnin über verschiedene Stationen im Nachwuchsbereich hochgearbeitet. Seit Februar ist er, der im Sommer als Trainer die UEFA Pro Lizenz erworben hat, der Cheftrainer des Zürcher Stadtclubs. Und das ist bislang eine Erfolgsgeschichte. Zum Ende der vergangenen Saison holte der FC Zürich den Cupsieg. Und in der aktuellen Saison hat sich das Team in der Europa League schon zwei Spieltage vor dem Ende der Gruppenphase für das Sechzehntelfinale qualifiziert. Chapeau! Auf dem Weg dorthin gewannen die Zürcher unter anderem das Heimspiel gegen Bayer Leverkusen mit 3:2. Ein Erfolg, nach dem die ersten Medien schon über die unmittelbar bevorstehende Trainerkarriere von Ludovic Magnin in der Bundesliga spekulierten. Doch das kommt für ihn zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht in Frage. „Aktuell ist es kaum möglich, dass wir mit der ganzen Familie ins Ausland ziehen. Und ohne meine Familie möchte ich nicht mehr im Ausland leben“, sagt der vierfache Familienvater, „als damals klar war, dass ich am Saisonende in die Schweiz zurückgehe, ist meine Frau mit den Kindern schon früher aus Stuttgart weggezogen, damit die Kinder zum Schuljahresbeginn bereits in der Schweiz sind. Wir hatten dann sechs Monate eine Fernbeziehung. Das war für mich die Hölle, da war ich alles andere als ausgeglichen.“
Und warum soll er auch etwas ändern, wo er doch gerade seine Aufgabe beim FC Zürich und seinen Alltag in der Schweiz in vollen Zügen genießt? Immerhin hat ihm der Verein bislang nahezu jeden Wunsch erfüllt, wenn es darum ging, das Umfeld und Betreuerteam der Profimannschaft professioneller aufzustellen. „Hier beim FC Zürich gefällt es mir super“, sagt er während er in seiner Mittagspause am schönen Ufer des Zürichsees entlang schlendert. Während er von seinem etwa 30 Minuten entfernten und am gegenüberliegenden Ufer liegenden Wohnort Hombrechtikon erzählt, von der hohen Lebensqualität hier vorschwärmt und davon, dass seine Frau kürzlich den Bootsführerschein gemacht hat und er sich schon auf den kommenden Sommer freut. „Dadurch dass hier in allen Bereichen alles passt, habe ich auch die Ruhe, mir Zeit zu lassen und als Trainer jetzt erst einmal noch dazu zu lernen, um dann eventuell eines Tages den Sprung in die Bundesliga zu wagen“, sagt Ludovic Magnin.
Ausschließen möchte er ein späteres Engagement in der Bundesliga aber keineswegs. Zu sehr reizt ihn diese Herausforderung. Zu viel bedeutet ihm noch heute die Zeit in Deutschland und speziell beim VfB. Und so freut er sich riesig, als er in Anlehnung an seine damalige Rückennummer im Trikot mit dem Brustring 21 Maultaschen sowie in Anlehnung an seine Position den VfB Rotwein „Defensive“ geschenkt bekommt. Sichtlich gerührt bedankt er sich und fügt dann – typisch Ludovic Magnin – hinzu: „Es ist eine Frechheit, dass ihr mir etwas mit dem Namen Defensive schenkt – ich habe mich immer als Offensivspieler gesehen.“